Die Tote
weil Hohstedt auf der linken Fahrspur seinem Vordermann an der Stoßstange klebte. »Ich glaube, dass unser feiner Herr Heimann sehr genau weiß, wo seine Tochter gewesen ist.«
»Hey, du Penner«, schimpfte Hohstedt statt einer Antwort, »wir haben rechts noch zwei Spuren! Mach dich mal vom Acker!«
Charlotte griff resigniert zu ihrem Handy. Hohstedt war wie immer ausschließlich mit sich und seinen Angelegenheiten beschäftigt. Sie versuchte, ihren Vater zu erreichen. Sowohl zu Hause als auch auf seinem Handy. Aber er meldete sich nicht.
Langsam machte sie sich Sorgen. Es gab eigentlich nur noch eine Möglichkeit, wo er sein konnte. Falls er nicht tatsächlich abgehauen war. Wohin auch immer. Sein Freund und Kollege Alfons Friedenau könnte vielleicht wissen, wo ihr Vater war. Oder hieß er Friedberg?
Charlotte war sich nicht sicher, versuchte es aber bei der Auskunft mit Alfons Friedenau, und den gab es offensichtlich. Sie ließ sich die Telefonnummer geben und hatte dann Skrupel, den Mann anzurufen. Ihre Mutter würde der Schlag treffen, wenn sie wüsste, dass ihre Tochter dem Vater bei Freunden hinterhertelefonierte. Aber darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen. Sie rief an, erreichte aber nur den Anrufbeantworter. Vielleicht würde sie es später noch mal versuchen, aber im Moment hatte sie genug von den Kindergartenspielchen ihrer Eltern. Kaum zwei Minuten nach ihrem Anruf meldete sich Alfons Friedenau.
»Ach, Charlotte«, sagte er erstaunt, »du bist das gewesen? Ist irgendwas nicht in Ordnung?« Und auf Charlottes Frage, wann er zuletzt mit ihrem Vater gesprochen habe, meinte er, das sei am Sonntag gewesen. Da hätten sie zusammen Tennis gespielt. Und seitdem habe er nichts mehr von ihm gehört. »Sind die beiden in Urlaub gefahren?«, wollte er dann wissen. »Hätten ja ruhig mal was sagen können.« Charlotte wusste nicht recht, was sie antworten sollte, denn offensichtlich hatte auch der beste Freund ihres Vaters keine Ahnung, wo er war. Sie bat Friedenau, ihr Bescheid zu geben, falls ihr Vater sich meldete. Dann legte sie ohne weitere Erklärung auf. Sollte er doch denken, was er wollte. Aber was war bloß mit ihrem Vater los? Was konnte sie tun? Ihn vermisst melden? Unter diesen Umständen? Ihre Kollegen würden sich kaputtlachen und keinen Finger rühren, um einen gesunden Mann zu suchen, der offensichtlich seine Frau sitzen gelassen hatte. Vielleicht sollte sie überprüfen, welche seiner Kleidungsstücke fehlten, ob er überhaupt einen Koffer gepackt hatte. Aber sie schreckte davor zurück, bei Frau Dienslaken, der Nachbarin ihrer Eltern, anzurufen und sie darum zu bitten. Und nach Bielefeld zu fahren und selbst nachzusehen, dazu fehlte ihr einfach die Zeit.
* * *
Kramer betrat ohne anzuklopfen Bergheims Büro und schloss ärgerlich die Tür hinter sich.
»Was hast du mir denn da für’n Exemplar auf den Hals geschickt? Der stank ja wie seit Monaten nicht gewaschen.«
Bergheim, der die letzten Stunden über dem Computer gebrütet und sich die bisherigen Vernehmungsprotokolle einverleibt hatte, verkniff sich ein Lächeln.
»Ich weiß. Roch ein bisschen streng. Hast du wenigstens noch was Nützliches aus ihm rausgekriegt?«
»Kann man nicht so genau sagen. Wenn ich seine Aussage richtig interpretiere, kam der Wagen, den er gesehen hat, wohl einem Touran am nächsten. Aber ganz sicher war der Typ nicht. Schwarz, dunkelblau oder braun. Kann auch grau oder dunkelrot gewesen sein. Wenn du damit was anfangen kannst. Nur zu.«
»Was ist mit der Werbung obendrauf?«
»Dito. Irgendwas Rotes. Vielleicht war’s aber auch nur ein Tuch … ich zitiere, ›das ausm Fenster rausgeflattert is‹, und ›vielleicht hab ich mich aber auch verguckt‹, hat er gesagt.«
»Na klasse«, brummte Bergheim, »sollen wir den jetzt ernst nehmen oder nicht?«
»Wenn du alle schwarzen, braunen, dunkelblauen, grauen oder dunkelroten Tourans in Hannover und Umkreis überprüfen willst, ja, dann solltest du ihn ernst nehmen.«
»Also nicht«, stellte Bergheim fest und wandte sich wieder seinem Bildschirm zu.
»So isses«, erwiderte Kramer und sah Bergheim prüfend an. »Ist was nicht in Ordnung? Du guckst so irritiert?«
»Ja, ich wundere mich bloß. Muss Charlotte danach fragen«, sagte er.
»Mach das.« Kramer schloss die Tür und ließ einen grübelnden Bergheim zurück.
»Hier stimmt doch was nicht«, brummte der. »Oder bin ich in den letzten sechs Wochen verblödet?«
Er fuhr den Computer
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