Die Tote
nur angelehnt. Da es die einzige Tür im Raum war, musste es der Ausgang sein. Sachte setzte er seinen Fuß auf. Es war schon etwas weniger schmerzhaft. Er konnte sich erinnern, dass er bis vor Kurzem eine Schiene getragen hatte. Charlotte fiel ihm ein und Jan. Automatisch suchte er in seinen Taschen nach dem Handy, aber seine Taschen waren leer. Natürlich, was hatte er denn erwartet? Ruhelos ging er umher. Was war geschehen? Wie war er hierhergekommen? Er musste nachdenken.
Er konnte sich vage an eine junge Frau erinnern. Dunkel und schön. Aber dann … war plötzlich Leere. Er bekam Kopfschmerzen, vielleicht sollte er diese Grübelei vorerst lassen und sich lieber darum kümmern, wie er hier rauskam. Vorsichtig ging er zu der Tür und stieß sie auf. Sie führte in einen anderen Raum, eine Art Vorratskeller, von dem aus ein offener Durchgang in eine Sauna führte. Neben der Saunakabine gab es eine weitere Tür. Sie war aus Eisen und verschlossen. Das musste der Ausgang sein.
Bergheim untersuchte das Schloss. Es war nicht zu knacken. Er ging zurück in den Vorratskeller. Dort gab es ein Regal, auf dem verschrumpelte, aber noch genießbare Äpfel lagen. Er ergriff einen, wischte ihn notdürftig an seinem Hemd ab und biss hinein. Auf einem anderen Bord fand er mehrere Packungen Zwieback, eine davon war angebrochen. Da schien sich jemand um seine Ernährung zu kümmern. Anscheinend wurde er noch gebraucht. Er ging wieder in den anderen Raum, öffnete die Tür zur Sauna und prallte zurück. Hinter dem Saunaofen kauerte eine weiße Gestalt.
Da es keine Lichtquelle gab, stieß er die Tür etwas weiter auf. Da saß eine junge Frau, die ihn aus großen dunklen Augen anstarrte. Sie trug ein langes weißes Gewand, dunkles Haar fiel ihr über die Schultern. Sie zitterte. Ob vor Kälte oder vor Angst, war nicht zu erkennen. Wahrscheinlich vor beidem. Auf jeden Fall schien sie keine Gefahr zu sein, im Gegenteil.
Als er auf sie zutrat, umschlang sie ihren Kopf mit den Armen, wiegte sich und begann zu summen. Bergheim blieb stehen.
»Sie brauchen keine Angst zu haben …«, wollte er sagen, aber seine Stimme versagte. Er hatte wohl ziemlich lange nicht gesprochen und fragte sich, wie lange er schon hier war. Nach einem leisen Räuspern versuchte er es erneut, ziemlich heiser, aber immerhin war er zu verstehen.
»Wissen Sie, wo wir sind?«, fragte er ruhig.
Sie reagierte nicht, summte und wiegte sich weiter. Ihre Unterarme waren voller Narben. Bergheim blieb, wo er war. Ob sie ihn verstanden hatte? Auf jeden Fall schien sie schwer traumatisiert zu sein. Aber vielleicht war sie ja auch einfach nicht ganz bei Sinnen.
»Können Sie mich verstehen?«, fragte er sanft. »Wir sollten versuchen, von hier zu verschwinden.«
Sie verstummte und saß still. Bergheim rührte sich nicht und wartete. Nichts tat sich. Also musste er selbst eine Lösung finden. Das war nicht so einfach, denn die Sicht in diesem Kabuff war mehr als schlecht. Wenn er wenigstens noch seine Uhr hätte, dann könnte er abschätzen, wie viel Zeit ihm noch blieb, bis die Sonne unterging. Es gab nur das eine vergitterte Fenster in der Waschküche und die verschlossene Eisentür. Mit dem passenden Werkzeug könnte er sie vielleicht aufhebeln, aber er hatte hier keinerlei Hilfsmittel. Charlotte würde sich Sorgen machen. Die junge Frau saß die ganze Zeit unverändert in der Ecke und beäugte ihn misstrauisch. Dann fiel sein Blick auf den Saunaofen. Er war bis zum Rand mit Steinen gefüllt. Er ging auf den Ofen zu, woraufhin die Frau sich sofort noch mehr verknotete.
»Ich will mir nur die Steine ansehen«, sagte Bergheim.
Die Frau blickte unsicher auf die Steinsäule. Aha, dachte Bergheim. Sie verstand also Deutsch. Er nahm einige von den Steinen in die Hand und überlegte. Wenn man damit lange genug auf den Putz einhämmerte, könnte man vielleicht das Gitter von dem Fenster entfernen. Es war eine kleine Chance, aber die einzige, die sie hatten. Er ging in die Waschküche, schob die Waschmaschine unter das Fenster, was einen mörderischen Lärm verursachte, stieg darauf und zertrümmerte mit einem Stein das Glas. »Hallo! Ist da jemand?!«, rief er, so laut er konnte, und lauschte. Nichts tat sich. Offensichtlich waren sie allein, irgendwo in der Wildnis. Er ging zu dem Mädchen zurück, das immer noch neben dem Ofen kauerte, und hockte sich hin, um auf Augenhöhe mit ihr zu sprechen, hielt aber Abstand.
»Ich versuche jetzt, uns hier rauszubringen. Wenn
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