Die Tote
beeilen.
»Komm«, flüsterte er, »wir müssen weiter.«
Er half ihr auf, und dann sahen sie sich unversehens einem neuen Feind gegenüber. Beide blieben bewegungslos stehen. Bergheim wusste nicht weiter. Wie kämpfte man unbewaffnet gegen eine nervöse Bache mit einer Horde grunzender Frischlinge? Gar nicht, fuhr es ihm durch den Kopf. Man suchte sich einen Baum zum Draufklettern. Es gab keinen Baum zum Draufklettern, nur glatte Stämme. Das Mädchen suchte hinter ihm Deckung. Die Bache quiekte und senkte den Kopf.
Bergheim suchte ebenfalls sein Heil im Angriff und sprang wie ein Gorilla auf das Tier zu. Das Schwein war so verblüfft, dass es innehielt und dann mit seinem Nachwuchs das Weite suchte. Bergheim ließ die Arme sinken und stieß einen Seufzer aus. Das wurde ihm alles zu viel. Er drehte sich um und hätte schwören können, dass das Mädchen lächelte.
* * *
Die Verfolgung gestaltete sich mittlerweile schwierig, denn sie hatten die Autobahn verlassen und fuhren Richtung Döhle.
»Meine Güte, die wollen in die Heide«, murmelte Charlotte. »Halt doch mehr Abstand, die schöpfen sonst noch Verdacht.«
»Kann man dir eigentlich irgendwas recht machen?«, knurrte Bremer. »Du solltest mal langsam Unterstützung anfordern.«
»Und dann schöpfen sie keinen Verdacht?«
»Aber wenn wir sie verlieren.«
»Wir werden sie nicht verlieren.«
Mittlerweile hatte der Renault das Dorf verlassen und bog urplötzlich in einen Feldweg ein, der durch ein Waldgebiet führte.
»Mist«, sagte Charlotte, »was sollen wir jetzt machen? Meinst du, du kannst ohne Licht fahren?«
Bremer brummte. »Ich fahre einfach da entlang, wo ich keinen Baum vermute, und du bezahlst die Rechnung, wenn’s schiefgeht.«
»Jaja«, murmelte Charlotte, während der Wagen leise durch das Dunkel weiterholperte.
»Ich sehe die Lichter nicht mehr. Die können nicht weit gefahren sein. Lass den Wagen stehen, wir laufen.«
»Okay.« Bremer stoppte bereitwillig.
»Vergiss deine Waffe nicht!«, zischte Charlotte, die sich schon auf den Weg machte.
»Bin ich blöd?«, knurrte Bremer und lief hinter ihr her.
Von einem klaren Sternenhimmel spendete der zunehmende Mond genügend Licht, dass sie nicht vom Weg abkamen. Sie liefen zügig mehrere hundert Meter, bis sie zu einem Gehöft kamen. Auf dem Hof stand der Renault. Aus einem Torbogen fiel Licht auf den Hof, aber niemand war zu sehen. Die beiden gingen an einer Stallwand in Deckung und horchten. Es war nichts zu hören. Charlotte zählte bis zehn und gab Bremer dann ein Zeichen. Beide zogen ihre Waffen, liefen um den Stall herum durch den Torbogen und fanden eine geöffnete Tür, die in einen beleuchteten Flur führte. Bremer entdeckte die Kellertreppe und ging lautlos voran. Charlotte folgte. Wenige Sekunden später standen sie im Saunakeller, in dem ebenfalls Licht brannte. Bremer sicherte die anderen Räume, während Charlotte den Eingang im Auge behielt.
»Kein Mensch weit und breit.« Bremer kam mit gesenkter Waffe aus dem Waschraum. Charlotte sah sich um.
»Wie würdest du das hier nennen?«, fragte sie.
»Ein ausbruchssicherer Keller«, sagte Bremer und wies auf die Waschküche. »Sieh dir das an.«
Charlotte folgte ihm, und beide starrten auf die Spuren von Bergheims Ausbruchsversuch.
»Das hätte noch Tage gedauert«, murmelte Bremer.
Charlotte nickte. »Rüdiger war nicht in Köln. Er war hier, die ganze Zeit. Die haben uns komplett zum Narren gehalten, und wir sind drauf reingefallen.«
»Was machen wir jetzt?«
»Verstärkung anfordern.«
Sie gingen hinaus, Charlotte zückte ihr Handy, als sie plötzlich Stimmen hörten.
Sofort gingen sie in Deckung.
»Dieser verdammte Idiot ist zu nichts zu gebrauchen«, schimpfte eine Frauenstimme. »Ich hab dich immer gewarnt, aber du bist einfach unbelehrbar.«
»Das hilft uns auch nicht weiter«, erwiderte eine wütende Männerstimme. »Wir müssen die beiden finden. Also, was schlägst du vor?«
»Wir warten, bis es hell wird, kann nicht mehr lange dauern. Dann suchen wir weiter.«
»Wir helfen Ihnen«, sagte Charlotte, die Waffe im Anschlag.
Die beiden, die gerade die Türen des Renaults geöffnet hatten, starrten in ihre Richtung.
»Hände aufs Dach und Beine auseinander!«, kommandierte Charlotte, und Bremer kam näher. Aber sie hatten die Kaltschnäuzigkeit der Frau unterschätzt.
»Wir sind unbewaffnet«, sagte sie, »wollen Sie wirklich schießen?« Gleichzeitig stieg sie in den Wagen, drehte den
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