Die Tote
Zündschlüssel und brauste, ohne den Wagen zu wenden, geradewegs in die Heide hinein.
Charlotte und Bremer waren nicht weniger verblüfft als der Mann, der dem Wagen wie versteinert hinterherstarrte.
Dann schrie er: »Warte!«, und lief los.
Bremer und Charlotte hinterher.
»Warum hast du nicht geschossen?«, schrie sie Bremer an.
»Warum hast du nicht geschossen?«, schrie er zurück und stürzte sich auf den Flüchtenden. Beide fielen hin, Charlotte warf sich auf die beiden und ging dem Mann an die Gurgel.
»Wo ist er? Was habt ihr mit ihm gemacht, ihr Schweine!«
Der Mann röchelte. »Lass los, Menschenskind!«, schrie Bremer. »Der wird dir sonst gar nichts mehr erzählen!«
Aber Charlotte hörte nicht und schlug dem Mann mit der Faust ins Gesicht, während Bremer versuchte, ihm Handschellen anzulegen.
»Wo ist er? Spuck’s aus, oder ich reiß dich in Stücke!«
Endlich gelang es Bremer, dem Kerl die Handschellen anzulegen und Charlotte von ihm runterzuziehen. »Jetzt lass ihn doch mal ausreden, verdammt!«
»Was wollen Sie?«, japste der Kerl. »Ich verklag Sie!«
»Ha!«, schrie Charlotte und wollte sich wieder auf ihn stürzen, aber Bremer hielt sie fest.
Dann sah er den Kerl an. »Und du sagst jetzt besser sofort, was ihr mit unserem Kollegen angestellt habt, sonst lass ich dich ein paar Minuten mit ihr allein.«
»Nein! Nicht! Ich weiß nicht, wo er ist, die sind einfach in den Wald gelaufen.«
»Wann war das, und wer ist die?« Bremer packte den Mann am Kragen und riss ihn hoch.
»Na, der Bulle und die Frau!«
»Welche Frau?« Bremer schubste den Mann in Richtung Hof.
»Sabrina.«
»Wer ist Sabrina?«
»Das ist doch jetzt ganz unwichtig!«, mischte Charlotte, die sich etwas beruhigt hatte, sich jetzt ein. »Wir müssen sie finden! Wann sind sie in den Wald gelaufen?«
»Keine Ahnung. Vor ein paar Stunden. Aber mein Kumpel ist ihnen auf den Fersen.«
Charlotte fluchte. »Ich suche sie, es wird langsam hell. Du sperrst diesen Mistkerl weg und forderst Unterstützung an!«, rief sie im Weglaufen.
* * *
Unterdessen stolperten Bergheim und das Mädchen weiter durch das Gehölz, bis sie auf eine Lichtung kamen. Im Osten ging zaghaft die Sonne auf. Bergheim blickte auf die Landschaft, die sich langsam vor ihm aus der Dunkelheit schälte. Mit der Morgendämmerung arbeitete sich eine sanfte, mit kleinen Bäumchen betupfte, hügelige Ebene aus dem Dunkel. Bergheim ließ sich auf die Erde nieder und strich über das üppig wachsende Kraut, das den Boden bedeckte. Heidekraut. Meine Güte, sie waren die ganze Zeit in der Heide gewesen. Er schöpfte Hoffnung. Dann würden sie bald auf einen Weg stoßen. Die Heide war gut erschlossen. Andererseits, sie mussten sich im Schutz der Bäume bewegen, sonst würde der Kerl sie unweigerlich entdecken. Er sah sich um. Einen Weg konnte er nicht entdecken. Sie konnten nichts anderes tun, als nach einem der vielen Rad- und Wanderwege zu suchen, die durch die Heide führten, und dem dann folgen.
Das Gehölz war nicht besonders dicht. Sie mussten auf der Hut sein und geduckt laufen. Wenn er bloß eine Ahnung hätte, wo genau sie sich befanden. Hier gab es viele weite Ebenen, auf denen wohldosiert der Wacholder wuchs. Vielleicht der Teufelsgrund oder der Wilseder Berg? Aber was nützte ihm das? Er hatte trotzdem keine Ahnung, in welcher Richtung sich die nächste menschliche Behausung befand. Geduckt liefen sie weiter am Waldrand entlang. Doch plötzlich blieb er stehen und lauschte. Hatte er da eben seinen Namen gehört? Er horchte noch eine Weile, konnte aber nichts hören. Das Mädchen sah ihn nur fragend an. Wahrscheinlich hatte er schon Halluzinationen. Wohl eine Folge des Eiweißmangels. Er konnte sich nicht erinnern, wann er die letzte vernünftige Mahlzeit gegessen hatte. Doch, jetzt wusste er es wieder. Es war der Döner am Steintor gewesen. Aber er sollte sich Gedanken über ein gehaltvolles Mahl lieber verkneifen. Das schwächte ihn nur.
Dann hörte er ein leises Stöhnen hinter sich und sah, dass das Mädchen zu Boden sank. Natürlich, sie musste völlig erschöpft sein. Vergeblich versuchte er, sie zum Weitergehen zu bewegen. Aber sie legte sich einfach hin und rührte sich nicht. Also hob er sie hoch, doch in seinem Kopf loderte der Schmerz. Er ließ sie los, setzte sich einen Moment neben sie und massierte mit den Fingern die Schläfen. Als sich die dunklen Schwaden vor seinen Augen verflüchtigt hatten, zog er das Mädchen langsam über
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