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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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die Kassette.«
    Sie verschwand ins Schlafzimmer, und Pallioti blieb mit einem Lächeln zurück.

    Die Aufnahme war körnig. Eleanor Sachs entschuldigte sich mehrmals für die miserable Bildqualität.
    »Seien Sie nachsichtig«, erklärte sie. »Es ist die Kopie einer Kopie. Ich habe das Original – also, eigentlich die Originalkopie – zu Hause gelassen. Das hier ist meine Reiseversion.«
    Pallioti beugte sich vor, um mehr zu erkennen.
    »Moment.« Eleanor sprang auf. »Vielleicht wird es jetzt besser.«
    Sie zog die Vorhänge vor dem großen Fenster zu. Augenblicklich wurde das Bild im Fernseher klarer.
    »Ich kenne das Band auswendig«, gestand sie, während sie zurückkehrte, die Papiere auf dem Sofa zusammenschob und sich dann auf der Kante niederließ. »Verzeihung. Ich vergesse immer wieder, dass andere nicht so viel erkennen.«
    Moderiert wurde die Sendung von einer Frau in einem blauen Kostüm, die das Kunststück vollbrachte, in jeder Minute mindestens zehn Mal die Worte »Orden« oder »Ehrung« zu verwenden, ohne je zu erklären, wofür sie verliehen wurden, während hinter ihr eine Parade überraschend fit und athletisch aussehender alter Männer – und Frauen – aufmarschierte. Als Pallioti die alten Partisanen sah, spürte er einen schmerzlichen und gleich darauf wütenden Stich, weil er an Isabella und Caterina denken musste. Sie hätten dabei sein sollen. Sie hätten es verdient gehabt, so alt zu werden.
    Dann wurde von der Parade zur eigentlichen Ordensverleihung geschnitten. Für ein paar Sekunden wurde der Präsident bei einer endlos lang wirkenden Rede gezeigt. Hinter ihm saßen in mehreren Reihen die greisen Partisanen. Wie durch ein Wunder schien keiner von ihnen einzuschlafen. Als Nächstes folgten Ausschnitte, in denen verschiedene Einzelpersonen ihren Orden überreicht bekamen. Sie wurden namentlich aufgerufen. Daher hatte Bruno Torricci also gewusst, wie sie hießen. Sobald einer vortrat, wurde salutiert, dann wurde ihm das farbige Band mit dem goldenen Medaillon an die Brust gepinnt. Manche bewahrten eisern ihre ernste Miene. Ein paar lächelten. Manche waren zu Tränen gerührt.
    Eleanor griff zur Fernbedienung und spulte vorwärts.
    »Ganz im Ernst«, versicherte sie ihm, »da verpassen Sie nichts.«
    Auf dem Bildschirm wurden in rasendem Tempo weitere Orden verliehen, dann wurde gesungen – mit ziemlicher Sicherheit die Nationalhymne –, eine Reihe von Flaggen wurden gehisst und wieder eingeholt, danach folgte der Empfang beim Staatspräsidenten im Quirinale.
    Sie schaltete wieder auf normale Geschwindigkeit. Eine Minute später erblickte Pallioti Giovanni Trantemento. Er stand ganz alleine da. Weder Maria Valacci noch Antonio waren zu sehen. Als hätte Trantemento die Kamera gespürt, warf er einen gehetzten Blick hinein und trat dann aus dem Bild. Dann, ein paar Sekunden später, erschien er wieder auf dem Bildschirm, diesmal in einer Gruppe.
    »Hier«, sagte Eleanor. »Sehen Sie.«
    Es waren vier alte Männer, die sich alle untergehakt hatten. Unaufhaltsam wie eine Flutwelle steuerte die Frau im blauen Kleid auf sie zu. Das Mikrofon vorgereckt wie einen Säbel, stellte sie grenzdebile Fragen wie: »Was empfinden Sie an diesem einmaligen Tag?«
    Giovanni Trantemento sah aus, als wäre er am liebsten geflohen. Er versuchte es, aber seine Bemühungen wurden von einem weißhaarigen Mann vereitelt, dessen Frack sich über der bulligen Brust spannte und der ihn entschlossen an der Schulter festhielt. Als würde er sich in das Unausweichliche schicken, sank Trantemento in sich zusammen. Als die blaue Frau fragte, woher sich die beiden kannten, lachte der Bulle mit der weißen Mähne laut auf und blökte ins Mikrofon, dass sie alte Kameraden seien.
    »Waffenbrüder!«, rief er. »Einer für alle! Alle für einen!«
    Der Mann auf seiner anderen Seite, Roberto Roblino, strahlte und nickte dazu. Am Ende der Reihe blickte ein kleiner, leicht buckliger Gnom, der ein Barett trug, als hätte es ihn aus Frankreich nach Italien verschlagen, finster in die Kamera. Dann zeigte er ein zahnloses Lächeln.
    »Da hätten wir also Roblino und Trantemento.«
    Eleanor Sachs schaltete auf Pause und spulte ein kurzes Stück zurück, wobei die Moderatorin wie eine geisteskranke Krabbe rückwärtswackelte.
    »Da.« Sie deutete auf Roberto Roblino. »Sehen Sie? Ich dachte immer, da bestünde eine gewisse Ähnlichkeit, verstehen Sie, mit meinem Vater, und vielleicht sogar mit mir. Aber«, sie lachte kurz,

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