Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
Vom Netzwerk:
den Brillengläsern an den Mann von früher.
    »Sie brauchen unsere Hilfe, Cati.« Er legte seine Hand auf meine. »Wir sollten uns freuen, dass wir ihnen helfen können.«
    Ich wollte mich aber nicht freuen. Ich dachte an die Züge, an die Hände, die sich zwischen den Latten durchzwängten, an die Menschen, die vor dem Krankenhaus abgeladen werden, nachdem sie Besuch von der Banda Carita bekommen haben.
    Enrico wandte sich an mich. »Cati«, sagte er. »Es ist unsere Pflicht.«
    Genau dieser Satz, diese Worte aus seinem Mund – »unsere Pflicht« – ließen mich auffahren.
    Ich sprang von meinem Stuhl auf. Ich erklärte ihm, dass ich jeden Tag meine Pflicht tat – dass wir hier unten in der Stadt sogar unsere Pflicht erfüllten, wenn wir aßen, tranken oder schliefen, und dass er selbstsüchtig sei, weil wir drei – Mama und Papa und ich – hier zum Abschuss freigegeben waren, während er in den Bergen umherzog und Soldat spielte. Ich fragte ihn, ob er wirklich so dumm sei – ob er das wirklich nicht begreife? Dass wir und nicht er verhaftet würden, dass wir und nicht er in die Villa Triste verschleppt würden. Dass wir und nicht er tot im Schnee liegen würden, wenn die Deutschen das Funkgerät aufspürten. Ich schrie meinen Bruder an, dass er nicht besser war als Mussolini oder Mario Carita oder die SS oder die alliierten Bomber – dass er uns genauso in Lebensgefahr brachte.
    Papa musste mich festhalten, sonst hätte ich ihn geschlagen.
    Aber natürlich erreichte ich damit gar nichts.
    Ich hatte es vom ersten Moment an in Ricos Gesicht gesehen. Und in Mamas. Ich hatte es an Papas Berührung gespürt, an seinem Klatschen gehört.
    Salute!
    Die Entscheidung war gefallen, bevor ich auch nur die Küche betreten hatte. Als wir unsere Gläser erhoben hatten, tranken wir damit auf das neueste Mitglied unserer Familie. Sie heißt JULIA.

12. Kapitel
    Bis Dienstagabend hatte Pallioti es mehr oder weniger aufgegeben, den Haupteingang des Polizeigebäudes zu benutzen. Während der achtundvierzig Stunden, seit Roberto Roblinos Leichnam gefunden worden war, hatte es die Pressestelle fertiggebracht, nicht bestätigen zu müssen, dass sein Tod in irgendeiner Weise mit dem von Giovanni Trantemento verbunden sein könnte. Trotzdem war Pallioti genauso klar wie jedem anderen – und das schloss offenbar die meisten Reporter ein –, dass man diese Fassade nicht ewig aufrechterhalten konnte. Früher oder später, wahrscheinlich früher, würde jemand etwas Konkretes in die Hände bekommen. Dann würde Pallioti die nächste Pressekonferenz bestreiten und noch mehr Fragen beantworten müssen, bei denen fast sicher das magische Wort »Serienmörder« fallen würde. Schließlich ließen sich mit keinem anderen Wort mehr Zeitungen verkaufen. Er hoffte einfach, das Unvermeidliche hinauszögern zu können, bis Enzo eine Ermittlungsstrategie entwickelt hatte – und zwar eine, die den Anschein erweckte, als hätten sie tatsächlich eine Ahnung, was zum Teufel da ablief. Oder bis sie am besten jemanden verhaftet hatten.
    Als er aus dem Lieferanteneingang der Cafeteria trat, sprach Pallioti kurz mit dem Wachposten. Dann blieb er in der kleinen Gasse stehen und knöpfte seinen Mantel zu. Es war ein langer Tag gewesen. Größtenteils hatte er ihn damit zugebracht, sich über alles zu informieren, was sich während seiner Reise nach Brindisi abgespielt hatte. Der Betrugsfall entwickelte sich genauso zäh wie zuvor, aber Pallioti hegte die leise Hoffnung, dass sie, wenigstens was Roberto Roblino betraf, tatsächlich Fortschritte machten.
    Enzos Team sezierte eifrig die wenigen Details aus der Akte, die sie aus Brindisi mitgebracht hatten. Pallioti seinerseits rief mehrmals in Rom an, bis er tatsächlich glaubte, möglicherweise den einen Amtsträger gefunden zu haben, der dem bedauernswerten Geschöpf, das für die Konsulararchive in Madrid verantwortlich war, Feuer unter dem Hintern machen konnte. Enzo hatte sich noch einmal mit dem Reporter getroffen, der den Artikel über die Neonazis verfasst hatte. Cesare D’Aletto hatte den Originalbrief an ihre Experten weitergeleitet. Leider hatten sie auch bei einer neuerlichen Durchsuchung weder unter Giovanni Trantementos Papieren noch irgendwo in seinen Büchern oder sonst wo in seiner Wohnung ein ähnliches Schreiben gefunden. Das hieß aber nicht, dass er nicht trotzdem einen ähnlichen Brief bekommen hatte wie Roberto Roblino, der seinen immerhin vor über einem Jahr erhalten hatte. Die

Weitere Kostenlose Bücher