Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
Begrüßungskuss, indem er einen Schritt zurücktrat, ein wenig verlegen wegen des gefühlsbetonten Empfangs.
«Du kennst meine Kollegen ja noch gar nicht», sagte er und drehte sich zu den anderen um, die genauso grinsten, wie er es geahnt hatte. Er stellte sie vor, und das Team begrüßte der Reihe nach My, die jedes Mal einen kleinen Knicks machte, wenn sie eine neue Hand ergriff. Das hatte Billy noch nie zuvor bei ihr beobachtet, aber er hatte wohl auch noch nie zugesehen, wie sie jemanden begrüßte, den sie noch nicht kannte. Eigentlich war es ganz niedlich, fand er, doch gleichzeitig erschien es ihm etwas merkwürdig, dass eine erwachsene Frau einen Knicks machte. Vielleicht lag es auch nur daran, dass man es so selten sah. My wandte sich Jennifer zu, die ihre Hand nahm und sich vorstellte.
«Ach so, und ich dachte, du wärst Vanja», sagte My lächelnd.
«Nein, die musste früher abreisen», erklärte Jennifer.
My nickte, und nachdem sie die Begrüßung überstanden hatte, hakte sie sich bei Billy ein und plauderte mit den anderen, da die ja ein selbstverständlicher Teil seines Lebens waren. Es war ein schönes Gefühl. Er begriff, dass er sich gefreut hatte, sie zu sehen, dass er sie vermisst hatte. Wenn er sie schon nach wenigen Tagen vermisste – bedeutete das etwa nicht, dass sie sich noch öfter sehen sollten? Immerzu? Bedeutete es nicht, dass es gar keine so dumme Idee war zusammenzuziehen?
Die Koffer kamen an, sie nahmen das Gepäck vom Band und gingen auf den Ausgang zu.
«Wo wohnst du denn?», fragte My Jennifer, als sie sich den Türen näherten.
«In Sollentuna.»
«Da fahren wir vorbei, sollen wir dich mitnehmen?»
«Oh, gerne!»
Billy und Jennifer winkten ein letztes Mal Torkel und Ursula zu, ehe sie gemeinsam mit My verschwanden.
«Wollen wir uns ein Taxi teilen?», fragte Ursula, während sie den Klebestreifen mit dem Flughafencode von ihrem Koffer abzog. Eine gemeinsame Taxifahrt konnte sie schon anbieten, dachte sie. Sie wusste ja, dass sie zuerst aussteigen würde und Torkel es nicht merkwürdig fände, wenn sie ihn nicht fragte, ob er noch mit hereinkommen wollte. In seiner Welt war sie eine verheiratete Frau. Ursula ertappte sich bei dem Wunsch, sich tatsächlich in dieser Welt zu befinden.
«Ich habe mein Auto auf dem Langzeitparkplatz stehen», erwiderte Torkel und machte eine unbestimmte Handbewegung zum Ausgang mit den großen Fenstern. «Ich habe vor, zu Yvonne zu fahren und die Mädchen zu treffen, sonst würde ich dich mitnehmen.»
«Kein Problem, ich nehme ein Taxi.»
«Wir sehen uns morgen.»
«Ja, bis dann.»
Torkel ging auf den Bus zu, der ihn zum Parkplatz bringen würde. Ursula blieb stehen und sah ihm nach. Da geht ein enttäuschter Mann, dachte sie. Obwohl sie in Storulvån so viel Zeit verbracht hatten, war nichts passiert. Sie hatten nicht nur keinen Sex gehabt, sondern nicht einmal zusammengesessen und sich unterhalten oder gemeinsame Spaziergänge unternommen. Sie hatten sich nicht ein einziges Mal privat gesehen, es sei denn, man bezeichnete die kurzen gemeinsamen Frühstücke so. Derart abweisend musste sie sich nun auch nicht verhalten. Sie nahm sich vor, morgen im Büro etwas zugänglicher zu sein. Dann steuerte sie auf die Schlange am Taxistand zu.
Eine Dreiviertelstunde später stieg sie aus dem Wagen, nahm ihren Koffer und ging zur Haustür. Sie gab den Türcode ein und öffnete den Briefkasten im Eingangsbereich, auf dem ein kleines Schild noch immer behauptete, er gehöre M., U. und B. Andersson. Sie nahm an, dass es ihre Aufgabe war, es auszuwechseln. Dann kam ihr der Gedanke, dass auf dem nächsten Schild vielleicht U. Lindgren stehen würde, aber sie verdrängte ihn. An diesem Abend würde sie jedenfalls nichts mehr am Briefkasten ändern.
Die Wohnung war leerer, als Ursula sie in Erinnerung hatte. Sie stellte ihren Koffer im Flur ab und ging hinein. Alles war noch genau so, wie sie es zurückgelassen hatte. So war es seit Mickes Auszug natürlich jedes Mal, wenn sie nach Hause kam, aber nachdem sie nun einige Tage am Stück weg gewesen war, zeigte sich noch deutlicher, dass sie allein wohnte. Allein war. Die Luft stand still, die Wohnung wirkte stickig, und sie legte die Post auf den Küchentisch und ging ins Wohnzimmer, um ein Fenster zu öffnen. Anschließend kehrte sie in den Flur zurück und zog ihre Schuhe und ihre Jacke aus. Die Schuhe ließ sie draußen stehen, die Jacke warf sie auf die kniehohe Sitzbank vor dem Spiegel, die mit
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