Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
stand, und sie packte ihm Proviant ein. Eyer beobachtete voller Neid, wie sie die Plastikdosen mit dem Korma von gestern in Mehrans Rucksack legte, und fragte sofort, ob er nicht auch ein bisschen von seinem Lieblingsgericht in die Schule mitnehmen dürfe. Sie lächelte ihn an. Das war typisch Eyer. Er ließ sich nicht die Butter vom Brot nehmen und wollte dem Leben immer noch ein bisschen mehr abgewinnen. Mehran war ernster, zurückhaltender und nicht ganz so mitteilsam.
Sie schüttelte den Kopf. «Für dich ist auch noch genug da, wenn du heute Nachmittag nach Hause kommst.»
Eyer nickte und widmete sich wieder seinen Frosties. Shibeka betrachtete die beiden, wie sie so dasaßen und aßen. Ihre Jungs. Sie hatte das ganze Wochenende mit sich gerungen. Sollte sie es erzählen? Mehran war so groß, dass er es eigentlich erfahren und sie vielleicht sogar begleiten müsste. Für sie sprechen. Sie beschützen. Aber das wollte sie nicht. Sie wollte vielmehr ihre Kinder beschützen. Und allein mit dem Mann sprechen. Vor neun Jahren hätte sie so etwas nicht einmal zu denken gewagt. In ihrer Welt hatte eine Frau nicht so agieren können, wie Shibeka es jetzt tat. Was sie vorhatte, fühlte sich einerseits wie eine Schande an, gleichzeitig aber auch sehr befreiend. Sie war stolz auf sich, obwohl sie sich tief in ihrem Inneren schuldig fühlte.
Die Jungen machten sich für die Schule fertig. Meistens gingen sie gemeinsam los. Shibeka gab beiden einen Kuss auf die Stirn und öffnete die Tür. Eyer und Mehran verschwanden die Treppe hinab, und sie blieb noch eine Weile stehen und lauschte ihren Schritten länger als gewöhnlich. Sie hatte wirklich zwei wunderbare Söhne. Respektvoll und höflich, nicht wie die Kinder mancher Freunde, mit denen es wegen der unterschiedlichen Sitten und Gebräuche der alten und der neuen Heimat häufig zu Konflikten kam. Dass es bei ihnen anders war, hielt sie für ihr Verdienst. Denn sie versuchte, ihren Söhnen beizubringen, das Beste aus beiden Kulturen anzunehmen. Es war nicht immer leicht, aber sie versuchte es.
Sie ging wieder in die Küche und trank den lauwarmen Tee aus. Nahm ein Stück Root, das süßlich und gut schmeckte. Ging dann zur Garderobe hinaus und begann, sich anzuziehen. Sie entschied sich für ein schwarzes Kopftuch, um das Haar zu verbergen, sie wollte nicht übertrieben schick, aber trotzdem seriös aussehen. Der Journalist sollte sie ernst nehmen. Sie würde zu früh in diesem Café sein, aber sie war zu rastlos, um noch länger zu Hause zu bleiben. Also nahm sie ihre Monatskarte und machte sich auf den Weg.
Die U-Bahn-Station lag zehn Minuten entfernt. Sollte sie jemandem begegnen, den sie kannte, würde sie sagen, sie sei auf dem Weg zum Markt. Sie hoffte, dass niemand auf die Idee käme, sie dorthin begleiten zu wollen. Denn es war eine Lüge. Aber ab und zu waren Lügen notwendig.
Mit der blauen Linie konnte sie direkt zum T-Centralen fahren, ohne umzusteigen. Die Bahn war nicht sehr voll. Ihr wurde klar, dass sie den Mann gar nicht kontaktieren konnte, falls sie den Weg zum Café nicht fand. Sie hatte kein Handy. Hätte nie gedacht, dass sie mal eines brauchen würde. Die Kinder hatten ihre eigenen. In Schweden hatten alle Kinder und Jugendlichen Handys. Vielleicht hätte sie sich eines von ihnen leihen sollen? Aber das hätte merkwürdig gewirkt, und sie hätten Fragen gestellt, Fragen, die Shibeka ihnen nicht beantworten konnte. Jedenfalls nicht jetzt. Es gab vieles, was sie nicht bedacht hatte. Sie war so darauf fixiert gewesen, irgendeine Reaktion zu erhalten. Und jetzt, da nach all dieser Zeit des Wartens endlich etwas passierte, war sie nicht richtig darauf vorbereitet. Aber wenn sich die Sache weiterentwickeln würde, dann, beschloss Shibeka, würde sie sich ein eigenes Handy kaufen. Einigen ihrer Freundinnen und vor allem deren Männern würde das nicht gefallen. Aber ihnen würde ohnehin nicht gefallen, was sie gerade tat. Bestimmt nicht.
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M öchtest du, dass ich noch mit reinkomme?»
My stellte den Motor ab und wandte sich Billy auf dem Beifahrersitz zu. Sie parkten vor dem Terminal 4 in Arlanda. Billy warf einen schnellen Blick auf die Uhr. Der Flug ging schon in fünfundvierzig Minuten.
«Nein, das brauchst du nicht. Es ist doch auch so wahnsinnig teuer, hier zu halten.»
«Okay.»
Billy öffnete seinen Sicherheitsgurt, beugte sich zu ihr und gab ihr einen Kuss.
«Ich melde mich, sobald ich weiß, wie lange ich
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