Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
beworben. Weil er nicht drei Jahre lang im Ausland leben wollte, redete er sich ein, und weil es nicht sein Ding war. Wenn er sich jemals weiterbilden würde, dann würde er einen anderen Weg wählen. Ein technisches Thema aussuchen, was ihm mehr lag.
Sicher war das ein Teil der Wahrheit, aber insgeheim wusste er, dass er sich auch deshalb nicht beworben hatte, weil er nicht wusste, wie er es verkraften würde, wenn er nicht weiterkäme – und Vanja schon.
«Hallo, du siehst ja so nachdenklich aus!», rief Vanja, als sie auf ihn zukam und ihn umarmte.
«Nee …»
Dadurch, dass er vorübergehend suspendiert gewesen war, die Abteilung in letzter Zeit nur auf Sparflamme gearbeitet hatte und Vanja so ehrgeizig für die FBI-Tests lernte, hatten sie sich in den vergangenen Monaten kaum gesehen. Jetzt merkte er, wie sehr er sie vermisst hatte.
«Wie bist du hergekommen?»
«My hat mich gefahren.»
«Aha, also bist du immer noch mit ihr zusammen?»
Bildete er sich das nur ein, oder klang ihre Stimme ein klein wenig enttäuscht?
«Ja.»
«Schön.»
Sie fragte nicht, wann sie My endlich einmal kennenlernen würde.
Nein, sie erwähnte es mit keinem Wort.
Sie gingen auf das Terminal zu.
Billy und Vanja betraten die Wartehalle und erblickten Torkel und Ursula vor den Tafeln mit den Ankunfts- und Abflugzeiten. Neben ihnen stand eine Frau. Sie war jung, vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt, und groß, größer als Vanja, über einen Meter achtzig. Braunes Haar, das zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war, ein längliches, schmales Gesicht, klare, blaue wache Augen, die sich sofort auf Billy und Vanja richteten, als Torkel seine Hand zum Gruß in ihre Richtung hob. Nachdem sie sich begrüßt und umarmt hatten, wandte Torkel sich der großen Frau zu, die bisher lächelnd ein wenig abseits gestanden hatte.
«Das ist Jennifer, von der ich euch schon erzählt hatte. Sie wird uns begleiten.»
Vanja streckte ihre Hand aus. «Hallo. Ich bin Vanja.»
«Jennifer. Wir sind uns übrigens schon mal begegnet.»
«Wirklich?»
«Ja, bei einer Kiesgrube in Bro. Ich hatte ein ausgebranntes Auto gefunden, für das ihr euch damals interessiert habt.»
Ach ja. Vanja nickte vor sich hin. Dass sie sich nicht an Jennifer erinnerte, lag zum einen daran, dass sie lediglich irgendeine uniformierte Polizistin gewesen war, die einen kurzen Bericht von etwa dreißig Sekunden abgegeben hatte, zum anderen, weil Vanja bemüht gewesen war, diesen Tag zu vergessen. Es war unerträglich heiß gewesen und sie selbst verkatert und wütend, und sie hatte Billy erklärt, dass sie eine bessere Polizistin wäre als er, was ihr gutes Verhältnis belastet und in der Folge die ganze Gruppe auf eine Zerreißprobe gestellt hatte. Später hatten sie sich ausgesprochen, Billy und sie. Die Sache aus dem Weg geräumt. Doch manchmal kam es Vanja so vor, als würde es zwischen ihnen nie wieder so werden wie vor dem Tag an der Kiesgrube in Bro.
«Konntet ihr den Jungen finden?», fragte Billy, als auch er dem Neuzugang die Hand schüttelte.
«Wie bitte?»
«Hattet ihr nicht nach einem vermissten Jungen gesucht, als du das Auto entdeckt hast?»
«Ach so, doch. Lukas Ryd. Ja, wir haben ihn gefunden. Er hatte einen kleinen Ausflug gemacht und sich dabei verlaufen.»
Jennifer lächelte Billy an. Er war jemand, der sich – im Unterschied zu Vanja – an sie erinnern konnte und auch daran, womit sie damals beschäftigt gewesen war. Jemand, der sie beachtet hatte. Billy erwiderte ihr Lächeln.
Vanja trat einen Schritt zurück.
Als Torkel ihr erzählt hatte, dass er eine Neue mitnehmen wollte, nämlich ihre potenzielle Vertretung, hätte Vanja nicht geglaubt, dass sie so jung wäre. Und wenn sie lächelte, sah sie noch jünger aus, stellte Vanja fest. Der etwas harte Zug um ihre Augen verflog, und sie wirkte entspannter. Konnte Torkel sie tatsächlich durch jemanden ersetzen wollen, der so jung und unerfahren war? Was dachte er sich dabei?
War sie nicht viel besser?
Natürlich war sie das.
Schließlich würde sie in die USA fahren. Und deshalb war jetzt Jennifer da. Eigentlich freute es Vanja, dass Torkel bereits eine Vertretung gefunden hatte. Denn das hieß, dass er sicher war, sie würde den Weg bis zu Ende gehen, und deshalb musste er sich rechtzeitig absichern. Und wenn sie ehrlich war, dann musste Vanja zugeben, dass sie selbst auch ziemlich jung und unerfahren gewesen war, als sie damals bei Torkel angefangen hatte. Aber nicht so jung.
Ursula riss
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