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Die toten Mädchen von Villette

Die toten Mädchen von Villette

Titel: Die toten Mädchen von Villette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Hedström
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und kippte den Stuhl in einem riskanten Winkel nach hinten, Simone Janssens und Renée Collignon …
    Die Stuhlbeine landeten mit einem Knall auf dem Fußboden.
    – Ich glaube, ich habe es, sagte Debaere erregt, Maurice de Wachter, genau, Maurice de Wachter!
    Er warf einen raschen Blick auf Philippe.
    – Ich muß ein paar Dokumente holen gehen, um zu sehen, ob ich mich richtig erinnere. Inzwischen können Sie das hier durchsehen, etwas Material über belgische Gefangene in Ravensbrück, das ich für Sie rausgesucht habe.
    Er schob zwei große Archivboxen über den Schreibtisch zu Philippe, der bebend hineinsah, während Tim Debaere durch die Tür verschwand. Die Boxen waren gefüllt mit Pappmappen, schmutzig und abgegriffen. Philippe nahm aufs Geratewohl eine heraus und sah eine maschinengeschriebene Liste mit Namen und Geburtsdaten. Er überflog sie schnell. Sie enthielt nur Namen von Frauen, die jüngste geboren 1928 und die älteste 1899. Es gab weitere Listen, einige von ihnen handgeschrieben, aber alle mit der gleichen Kombination von Frauennamen und Daten. Beieinigen stand eine handgeschriebene Adresse, bei anderen hatte jemand lakonisch »verstorben« notiert. Er begriff bald, daß die Listen aus den Namen belgischer Frauen bestanden, die nach Ravensbrück gebracht worden waren. Und befreit?
    Mit Händen, die nicht ganz sicher waren, zog er weitere Mappen, weitere Listen heraus. In der zweiten Box fand er, was zu finden er kaum erwartet hatte. Zunächst sah er die wohlbekannte Adresse des Hauses, in dem zuerst seine Mutter und dann er selbst und Martine aufgewachsen waren, Clos de Savoie 4 in Uccle, mit Füllfederhalter säuberlich an den Rand notiert, und dann der maschinengeschriebene Name – Renée Marguerite Collignon, geboren am 23. März 1926.
    Weiter unten fand er auch den zweiten Namen, den er suchte. Simone Janssens, geboren am 7. November 1926. Aber keine Adressen, nur das trockene »verstorben«.
    In den Mappen waren nicht nur Listen. Philippe begann, ein Protokoll, aufgenommen im November 1945 bei der militärischen Anklagebehörde in Brüssel, von einem Verhör mit einer jungen Näherin aus Etterbeek zu lesen, die Anfang 1943 von der Gestapo festgenommen und über Holland schließlich nach Ravensbrück geschickt worden war. Kalt und sachlich berichtete sie den Gendarmen, was sie erlebt hatte. »… drei Gestapoagenten, einer von ihnen war Belgier, verhörten mich mehrere Male. Da ich mich weigerte, etwas zu sagen, schlugen sie mich, so schlimm, daß ich ins Krankenhaus gebracht werden mußte. Der Belgier war am schlimmsten. Er war groß und kräftig und kam vermutlich aus Antwerpen … Ich wurde ins Konzentrationslager Vught in Holland gebracht, wo ich gezwungen wurde, in einer Gasmaskenfabrik zu arbeiten. Wir arbeiteten zwölf Stunden am Tag. Wir wurden von uniformiertenSS-Männern mit großen Hunden bewacht. Oft ließen sie sie uns beißen, um sich zu amüsieren … Ich wurde ins Lager Ravensbrück in Deutschland geschickt. Der Transport wurde in Viehwaggons durchgeführt, unter entsetzlichen Verhältnissen. Die Gefangenen waren so zusammengedrängt, daß es unmöglich war, sich hinzusetzen. Dort wurden wir zwei Tage und Nächte festgehalten, ohne etwas zu trinken zu bekommen …«
    Philippe hörte auf zu lesen. Er hielt es nicht mehr aus. Renée, seine geliebte Mutter, die seine Sicherheit und Geborgenheit gewesen war, als er klein war, hatte die gleiche Reise gemacht, die gleichen Schrecken erlebt. Und sie war im selben Alter gewesen wie seine Tochter jetzt, ein siebzehnjähriges Mädchen mit dunklen Haaren und Tatias Gesicht. Was hatte sie gefühlt? Wieviel Angst hatte sie gehabt?
    Er stellte sich an das offene Fenster. Sein Herz klopfte im Takt der Ramme, und seine Handflächen fühlten sich feucht an.
    Er hörte ein Geräusch hinter sich. Tim Debaere kam mit drei Archivboxen in den Armen herein. Er sah zufrieden aus.
    – Hier, sehen Sie mal, sagte er munter, ich durfte damals Fotokopien von allem machen, völlig gratis, deshalb habe ich alle Dokumente vom Prozeß gegen Maurice de Wachter.
    Er hielt inne, als er Philippes Miene sah.
    – Haben Sie vielleicht etwas gefunden, sagte er, das ist vermutlich keine einfache Lektüre, wenn man persönlich betroffen ist.
    Philippe zuckte mit einer Grimasse die Achseln und ließ sich wieder am Schreibtisch nieder. während der Forscher anfing, zwischen den Papieren zu suchen.
    – Da war ein Brief, sagte er halb vor sich hin, ein Brief, der keine

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