Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
müde.«
»Ruf mich an, wenn du da bist, okay?«
Ich lege auf, bevor er antworten kann.
Dann fahre ich zu Deborah Lovatts Haus und sehe sofort, dass niemand da ist. Ihre Mutter hat gesagt, dass sie zwei Mitbewohner hat. Wenn sie etwa im selben Alter wie Deborah sind, dann sind sie irgendwo in der Stadt was trinken oder schauen sich einen Film an. Ich steige aus dem Wagen und blicke mich um, doch ich kann nichts Verdächtiges entdecken. Keine eingetretenen Türen. Keine kaputten Fenster. Ich klemme eine Visitenkarte an die Tür, direkt über dem Schlüsselloch. Auf der Rückseite hinterlasse ich eine Nachricht: dass ich dringend mit Deborah sprechen muss. Deborahs Mutter wird inzwischen die Polizei verständigt haben, doch so wie die Dinge in dieser Stadt laufen, heißt das nicht, dass bald Hilfe eintrifft.
Auf dem Rückweg herrscht dichter Verkehr, lauter Leute auf der Suche nach einem besseren Ort. In der Schlange an der Ampel kann ich die Stereoanlage vom Wagen hinter mir hören, das monotone Wummern lässt mein Fahrgestell erzittern. Im Rückspiegel sehe ich, wie sich hinter mir etwas bewegt – die Wageninsassen verwandeln die Fahrt in die Stadt offenbar in eine rauschende Party.
Mein Handy klingelt, und ich gehe ran. Die Musik aus dem anderen Wagen übertönt Landrys Stimme. Ich drücke das Handy fester gegen mein Ohr.
»… jetzt also tun?«
»Was?«, frage ich.
Die Ampel wird grün. Sofort drückt der Typ hinter mir auf die Hupe. Nachdem ich die Kreuzung überquert habe, fahre ich rechts ran. Am Straßenrand hockt ein Kerl, der wie Jesus gekleidet ist und gerade in einen Eierkarton beißt. Als er mir mit blutunterlaufenen Augen direkt ins Gesicht blickt, wird mir klar, dass er sich am Ende jenes Weges befindet, der auf mich wartet, wenn ich nicht aufhöre zu trinken.
»Bist du dran, Tate?«
»Einen Moment.«
Unter Gehupe, Gejohle und Gewinke schiebt sich der andere Wagen an mir vorbei. Ich gebe erneut Gas und fahre weiter die Straße rauf, um einen Parkplatz weit weg von dem Mann mit dem Eierkarton zu finden.
»Okay, erzähl weiter.«
»Du stellst meine Geduld auf eine ernsthafte Probe, Tate. Ich bin in der Kirche, was soll ich jetzt tun?«
»Geh zum Beichtstuhl.«
»Warum?«
»Tu’s einfach.«
»Okay, okay. Weißt du, dass es sich anhört, als würdest du fahren?«
»Du irrst dich.«
»Ja. Okay. Ich bin bei den Beichtstühlen. Und jetzt?«
»Mach die Tür auf.«
»Wonach suche ich?«
»Schau auf Vater Julians Seite nach. An der Oberseite. Hinter der Rückwand. Überall.«
»Wonach soll ich suchen? Nach dem Kassettenrekorder, von dem du mir erzählt hast? Glaubst du, dass Vater Julian heimlich Aufzeichnungen gemacht hat?«
»Tu’s einfach.«
»Hier drin ist nichts.«
»Doch. Klopf die Wand ab.«
»Abklopfen? Meinst du, eine der Holzplatten ist eine Attrappe?«
»Ganz genau.«
Er fängt an, die Wände abzuklopfen. Aus dem Handy dringt ein leises Hämmern. »Das ist völlige Zeitver…«
Er spricht nicht weiter; er hat es gefunden.
»Woher zum Teufel wusstest du das?«, fragt er.
»Vater Julian hat die Beichte aufgenommen und die Leute erpresst.« Ich werfe einen Blick in den Spiegel und sehe, wie der Eierkarton-Typ auf mich zuwankt. Im Spiegel erscheint er näher, als er tatsächlich ist. »Und da ihr den Kassettenrekorder nicht gefunden habt, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass er ihn irgendwo versteckt haben muss. Gibt es ein besseres Versteck?«
»Darum hast du ihn beschattet? Scheiße, Tate, warum hast du uns das nicht gesagt? Du hättest uns eine Menge Arbeit und Mühe erspart. Und es auf diese Weise rauszufinden, Mann – das macht keinen besonders guten Eindruck. Das könnte so wirken, als hättest du den Rekorder bei deinem Einbruch letzte Nacht dort deponiert.«
»Ich bin nicht eingebrochen. Und überhaupt, ich habe es gerade erst rausgefunden. Verstehst du, Julian hat seinen Mörder aufgenommen. Er wusste , wer die Mädchen getötet hat. Ist noch ein Band im Rekorder?«
»Ja.«
»Hör es dir an. Vielleicht hat Vater Julian in der Nacht, als er gestorben ist, jemandem die Beichte abgenommen. Vielleicht ist die letzte Stimme, die auf dem Band zu hören ist, die von seinem Mörder.«
»Du musst aufs Revier kommen, Tate.«
Der Eierkarton-Typ zieht einen Hemdzipfel in die Länge und fängt an, in kreisförmigen Bewegungen das Seitenfenster damit abzuwischen. Das ist allerdings nicht die Art von Autopflege, die meinem Vater vorschwebt. Ich kurble das Fenster einige
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