Die Toten vom Klan
erduldet hatte und sich nie beschwerte. An diesem Tag jedoch brach die fünfzigjährige rundliche Frau mit den großen, gütigen Augen und dem Kopftuch über dem Haar ihr Schweigen.
»Junge, du weißt, daß ich dich gern habe. Dad und ich lieben die über alles, aber du hättest nicht zurückkehren sollen. Nicht jetzt. Es ist eine schlechte Zeit.«
»Waren die Zeiten nicht immer schlecht für uns Schwarze?«
»Da magst du recht haben, doch in der letzten Zeit ist wieder etwas hochgekommen, vor dem ich mich fürchte. Ich bezeichne es als den alten, furchtbaren Geist, der damals die Menschen befallen hatte und sie zu Tieren machte. Ja, mein Junge, zu Tieren. Wir waren nichts wert. Die Zeiten gingen vorbei, Kennedy kam, wir erhoben uns, aber der Süden, besonders Mississippi, blieb gleich. Die Alten geben es den Jungen weiter, und die sorgen dafür, daß auch ihre Kinder an der Zweiklassengesellschaft festhalten.«
Jerry hatte zugehört und dabei einige Schlucke Kaffee aus der breiten Tasse getrunken. »Ma, das muß man ändern. Ich bin zurückgekommen, um hier zu leben. Zusammen mit Marsha. Wir beide wollen heiraten. Ich kenne den Norden, ich will nicht fliehen, ich will einen Job haben, der meinem Studium entspricht.«
»Und wo willst du arbeiten?«
»In Jackson, der Hauptstadt. Ich habe Referenzen, ich bin Betriebswirtschaftler, ich bin Soziologe, ich werde einen Job in der Verwaltung bekommen.«
Milly streichelte die Hand ihres Sohnes. »Ich gönne es dir, mein Junge. Ich gönne es dir, ich gönne es Marsha, aber ich kann einfach nicht daran glauben. Nicht in diesem Staat, der den Namen unseres berühmten Flusses trägt, obwohl er nicht durch Mississippi fließt, wir uns ihm aber verbunden fühlen, wir Schwarzen zumindest. Ich habe in den Sechzigern gedacht wie du, dein Vater ebenfalls, doch es war nur ein kurzes Aufbäumen gewesen. Anschließend haben wir es zurückbekommen. Leider, muß ich da sagen.«
»Aber es ist eine andere Generation herangewachsen, Ma.«
»Na und?«
»Wieso na und?«
»Ändert das etwas?«
»Für mich, ja.«
Milly Blake beugte sich vor. »Du hast Glück gehabt, mein Junge. Großes Glück, daß du noch am Leben bist. Denk an die furchtbare Nacht. Du bist auf verbotenen Wegen gewandelt, man soll Mr. Voodoo in Ruhe lassen. Es ist ein Geheimnis, und es soll auch immer ein Geheimnis bleiben, mein Junge.«
Jerry runzelte die Stirn. »Das kann ich nicht unterstreichen. Einer muß es tun.«
»Weshalb du?«
»Ma!« Jetzt legte er seine Hand auf die der Mutter. »Ich bin es nicht allein. Abe Douglas, den ich kennenlernte, ist ebenfalls hiernach Cottonwood gekommen.«
»Und wäre beinahe erschossen worden. Jetzt liegt er im Krankenhaus und kann dir nicht helfen.«
»Nein«, sinnierte Jerry, »er nicht.«
»Wieso sagst du das so komisch?«
Jerry hob die Schultern. »Weil es andere gibt, die mir möglicherweise helfen werden.«
»Das ist mir neu.«
»Ich will dir sagen, daß Abe zwar allein gekommen ist, aber es ist Unterstützung unterwegs. Er hat mir von den beiden Männern berichtet. Viele Schwarze wissen, daß es um Mr. Voodoo ein Geheimnis gibt. Ich habe ihn fast gesehen, ich habe ihn gerochen. Er hat einen widerlichen Leichengestank ausgeströmt. Es war furchtbar. Ich weiß nicht, wer er ist, aber ich weiß, daß man ihn vernichten muß.«
»Ein Dämon.«
»Ja, Mutter, das glaube ich auch. Und um einen Dämon zu vernichten, muß man bestimmte Waffen haben, die sich leider nicht in unserem Besitz befinden.«
»Wer hat sie denn?«
»Die Männer, die erscheinen werden.«
»Und die du nicht kennst, mein Junge.«
»Abe Douglas hat es nicht nötig, mich anzulügen. Er kennt sich aus, ich kann ihm vertrauen.«
»Man muß auch manchmal Menschen vertrauen, Ma!«
»Stimmt.« Milly Blake stand auf. Sie goß aus der Kanne frischen Kaffee nach, ihr Sohn wollte keinen. Er betrachtete nachdenklich eine Fliege die ihre Kreise zog.
Die Blakes wohnten zwar nicht in Cottonwood, aber trotzdem ziemlich abseits. Früher war das Land noch sumpfig gewesen, bis Arnos Blake es kultiviert und gekauft hatte.
Nicht weit vom Hof entfernt begann der Wald, so dicht fast wie ein Dschungel.
»Und du vertraust den beiden Männern, die du nicht kennst, mein Junge?«
»Voll und ganz.«
Milly Blake schüttelte verwundert den Kopf. »So kenne ich dich gar nicht.«
Er hob die Schultern. »Was willst du machen, Ma? Manchmal muß man im Leben Menschen vertrauen, und Abe Douglas hat mir so viel von diesen
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