Die Totenfrau des Herzogs
Gesicht. »Also … unser Herzog, der … also - er stinkt, müsst Ihr wissen. Er stinkt wie …« Der Mann verstummte, unfähig, einen passenden Vergleich zu finden. Um ihn herum wurden die Männer unruhig. Man nannte so etwas nicht beim Namen, wenn es um den großen Herzog ging.
Ima gab ihm den Becher zurück. Mühsam unterdrückte sie einen Schauder bei dem Gedanken daran, was sie erwartete.
»Der Allmächtige wird uns Wind schicken, damit die Reise zügig geht und der Geruch nach Vergänglichkeit uns nicht am Rudern hindert«, erwiderte sie mit fester Stimme und hoffte, dass sich ihre Worte wenigstens zum Teil bewahrheiteten, weil sie den Leichnam fürchtete.
Dazu hatte sie auch allen Grund.
Je näher sie dem Zelt des Herzogs kam, desto weniger Männer traf sie an. Die Feuer vor dem Zelt wurden von zwei Knappen unterhalten, die sich Tücher vor die Gesichter gebunden hatten, denn der Geruch, der aus dem Zelt nach draußen drang, war in der Tat kaum zu ertragen. Es gab keinen Wächter mehr im Zelteingang - nur noch diese beiden Knappen und einen unermüdlichen Sänger im Zeltinneren.
» Ma dame , die Herzogin ist nicht hier«, raunte der eine Knappe, während er ein paar Holzscheite in die Flammen warf. »Man brachte sie in das Zelt de Neuvilles …«
Ima nickte. Die Herzogin war die Allerletzte, der sie jetzt
begegnen wollte. Sie sah an sich herunter. Immer noch das blutverschmierte, unziemlich kurze Kleid, verdeckt durch Bohemunds Mantel, welcher schwer auf ihren Schultern lastete. Es kam ihr nicht richtig vor, in diesem verwahrlosten Aufzug nach dem Leichnam zu sehen - wozu man sie mit Sicherheit aber sehr bald auffordern würde, weil jedermann sie als Totenfrau erlebt hatte und die Abreise für das Morgengrauen geplant war. Würde es jemals zu Ende sein?
» Ma dame , da gab es ein Bündel mit einem Damenkleid, ist das vielleicht Eures?«, fragte der Knappe und zog sich höflich das Tuch vom Mund. »Es lag im Zelteingang und gehört keinem von uns …« Mit einer Verbeugung verschwand er zwischen den Sträuchern auf die andere Seite der Lichtung, wo die einfacheren Männer ihre Zelte aufgebaut hatten, und kam mit einem Kleiderbündel zurück.
»Ich kann Euch auch Wasser besorgen, wenn Ihr …«
»Ach - danke«, entfuhr es ihr - Wasser! »Nur eine kleine Schüssel, wenn Ihr so gut sein würdet!«
»Sie werden alle glotzen kommen, Ima«, flüsterte da jemand hinter ihr - Thierry. »Tu’s nicht. Sie sind wie die Tiere, wenn sie eine Frau sehen. Glaub mir. Tu’s nicht.« Ima drehte sich um und erschrak über Thierrys Gesichtsausdruck. Sie packte den Mönch am Arm und zog ihn zwischen zwei unbewohnte Zelte - niemand schlief mehr in der Nähe des toten Herzogs.
»Sie sind wie die Tiere, Ima … wie die Tiere …« Das Schluchzen war kaum hörbar. Thierry sank zitternd in sich zusammen, und Ima hockte sich erschrocken neben ihn.
»Aber Thierry, was hast du, was …« Langsam begriff sie - Allmächtiger, wieso erst jetzt? Nur wenige Tage hatten Thierry und sie getrennt - und nun eine Welt, ein Leben - ein Tod. Entsetzen schnürte Ima die Kehle zu. Wie eine Wunde schmerzte das Begreifen. Eine Wunde, die sie nun mittragen musste, weil sie in Rom genug Gewalt mit angesehen
hatte. Sie wusste auch, dass Gewalt keinen Namen und keinen Platz im Mund einer wehrlosen Frau hat, die sie erdulden muss. Gewalt bleibt als Narbe auf der Seele zurück. Eine Narbe, welche nicht tief genug geht, um daran zu sterben, aber tief genug, um das Leben für immer zu vergiften.
»Wann …?«, flüsterte Ima.
»Ich bat ihn, mich nicht zurückzulassen. Ich bat ihn inständig, nicht zu gehen. Ich bat ihn … Er ging.«
Ima barg Thierrys Kopf an ihrer Brust. Der Himmel allein wusste, wie Soldaten auf die Idee kamen, einem Mönch die Kleider vom Leib zu reißen - doch ihr Entzücken, darunter einen Frauenkörper vorzufinden, musste unvorstellbar gewesen sein. Und niemand war in dem furchtbaren Lager von Bundicia zur Stelle gewesen, um sie davor zu bewahren, niemand war geblieben … welch ein Alptraum.
»Wer ließ dich zurück? Wer, Thierry?«, flüsterte sie und ahnte die Antwort doch - wen sonst konnte Thierry gemeint haben? Wer sonst hatte sich auf den Weg gemacht, nachdem Ima das Lager verlassen hatte?
»Ich habe gebetet, Ima. Es hat nicht geholfen. Gott hat seine Augen bedeckt, weil ich eine Sünderin bin«, schluchzte sie. »Das war meine Strafe, so grausam, Ima, Gott ist grausam, so grausam …«
Sanft schaukelte Ima
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