Die Totenfrau des Herzogs
befreien.
»Gott segne dich, mein Sohn.« Die Herzogin blieb sitzen und streckte ihm die Hand entgegen.
Er kniete nicht nieder, sondern beugte sich über sie und küsste ihr die Hand. Eine Spur zu lässig und eine Idee zu schnell, und sein Blick war unstet. »Immer noch die unermüdliche Reiterin«, grinste er. Sicaildis zog ihn an der Hand zu Boden, was ganz klar keine mütterliche Geste war. Niemals vergaß diese Frau, was ihr zustand, nicht einmal bei ihrem eigenen Sohn.
»Wie geht es ihm?«, fragte sie heiser. Roger hockte sich bequemer hin und stützte sich auf sein Schwert. Ein Knappe rannte um einen weiteren Schemel. Ima flocht die Haare fertig und steckte sie vorsichtig mit der Nadel am Kopf fest. Die Herzogin nickte dankend.
»Wie geht es meinem Robert, sag’s mir …«
Er drehte sein Schwert zwischen den Händen. »Unverändert, Mutter. Er wartete auf dich.«
Sicaildis trank ihren Becher leer und ließ ihn in den Schoß sinken. Ima wunderte sich, wie viel Zeit nach all dem Gehetze der letzten Tage auf einmal war. Woher nahm sie jetzt die Muße, auf ihrem Schemel zu verweilen? Oder war es Furcht, die sie fesselte? Mit sanften Händen legte sie den Schleier über Sicaildis’ Haar und strich ihr abschließend sacht über den Kopf. Es hätte nicht sein müssen, doch die alte Dame tat ihr leid. Eine kleine Kopfbewegung, und sie schaute in Sicaildis’ graue Augen. Ein wenig wässrig waren sie - wässrig. Ima legte die Hand auf den faltig gewordenen Arm. Diese Frau ritt wie ein Soldat, sie nahm es mit Soldaten auf und führte furchtlos die Waffen eines Soldaten - doch hier, wo es ans Abschiednehmen ging und sie ihren Mann vielleicht zum letzten Mal sehen würde, hier versagte ihr unglaublicher Mut.
» Ma dame , er lebt noch.« Woher sie die Gewissheit nahm, wusste Ima nicht, doch es fühlte sich gut an. Wenn sie an den Herzog dachte, fühlte es sich gut an, mochte Gott sie strafen für diesen Gedanken und dass sie ihn laut äußerte, denn es stand dem Menschen nicht an, in die Zukunft zu schauen.
»Ja«, hauchte Sicaildis. »Ja. Er lebt.« Dann erhob sie sich. Ihre Verbände an den Beinen waren feucht vom Wundsekret, und sie humpelte ein wenig. Der Gedanke an Gottes Strafen verblasste angesichts der müden, tapferen Frau, die auf dem Weg zu ihrem sterbenden Gatten war.
Vorsorglich hängte Ima ihr den leichten Mantel um. »Falls Ihr weich sitzen möchtet, ma dame .«
Sicaildis griff nach ihrer Hand. »Kommt mir mir, Ima. Seid bei mir.«
Ihre Hände verschmolzen miteinander. Imas Rechte trug sechs Finger und wurde von vielen Menschen mit Furcht betrachtet, doch hier auf dem staubigen Platz in der Mittagshitze war sie die Einzige, die zupackte und mit ihrem Griff der Herzogin so viel Zuversicht schenkte, dass diese aufrecht zum Lager des Sterbenden gehen konnte. Selbst ihr Sohn Roger hielt die Hände unter den Achseln verborgen und wippte auf den Fersen, um nicht helfen zu müssen.
»Gehen wir?«, fragte er nur. Und als sie langsam auf das Zelt zuwanderten: »Meinst du, ich bekomme sein Pferd?«
»Meinst du, du hast es dir verdient?«, gab seine Mutter zurück.
»Ich bin sein Sohn«, erwiderte er beinah entrüstet.
»Es gehört mehr dazu, und das weißt du.« Sie sah ihn scharf von der Seite an. »Und es gehört sich nicht, danach zu fragen, das weißt du auch.« Er runzelte die Stirn, schwieg aber. Sein Trotz indes war deutlich zu spüren.
Vor dem Zelt erhoben sich zwei Soldaten, die die ganze Zeit auf Fässern vor sich hin gedämmert hatten. Die Sonne schüttete ihre ganze Hitze auf das Zelt und diese beiden Soldaten aus, einer von beiden hatte ein hochrotes Gesicht und schwankte. Doch zum Glück gab es die Speere. In einem anderen Leben hätte dieser Mann sicher etwas Ordentliches damit anzufangen gewusst - hier diente ihm der Speer als Stütze, obwohl sein Haar noch füllig und seine Faust kräftig und sein Metier sicher ein anderes war. Die Hitze schien die Männern altern zu lassen.
»Stell dich gefälligst richtig hin«, zischte der andere, der eilig in die Knie sank, als die Herzogin neben ihrem Sohn
auf den Zelteingang zuschritt. Auf Ima, die an ihrer Seite ging, achtete niemand - sie hatte vorhin die Bürste in der Hand gehabt. Und so konnte sie sich konzentrieren auf das, was vor ihr lag: Laken, Tücher und stinkender Unrat hinter dem Vorhang, Gemurmel und der stechende Geruch von billigem Weihrauch - kaum zu glauben, dass all das in ein Kriegerzelt hineinpasste. Die Waffentruhen
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