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Die Totensammler

Die Totensammler

Titel: Die Totensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PAUL CLEAVE
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würden die Polizei verständigen oder die Gesundheitsbehörden. So eine Sache kann nicht verheimlicht werden, egal, wie sehr sich alle anstrengen, sie für sich zu behalten. Die Medien hätten Wind davon gekriegt, eine Geschichte wie diese wäre pures Gold gewesen. Sämtliche Zeitungen im ganzen Land sowie die internationale Presse hätten darüber berichtet. Auf der Titelseite.
    »Was genau heißt ›ständig‹?«
    Er zuckt erneut mit den Schultern, von dem Schlauch tropft ein wenig Wasser. »Alle paar Monate oder so.«
    Ich rechne nach. Alle paar Monate. Also vielleicht sechs Personen pro Jahr. Macht in zehn Jahren sechzig Personen. Ausgeschlossen, dass sechzig Angehörige für Geld unten im Keller jemandem mit einem Baseballschläger oder Hammer die Seele aus dem Leib geprügelt haben. Ich kann mir das einfach nicht vorstellen.
    Wahrscheinlich würde ich es glauben, wenn es ein- oder zweimal passiert wäre. Dann könnte an dieser Geschichte was dran sein. Denn es ist ein gutes Gefühl, sich zu rächen. Ich frage mich allerdings, wie gut die Betreffenden sich gefühlt haben, wenn die Stunde vorbei war. Wie viele von ihnen sich zu Hause übergeben haben … und wie viele mehr davon wollten. »Und Sie haben niemandem davon erzählt.«
    »Wer hätte mir schon geglaubt? Nicht mal Sie glauben mir.«
    »Ich habe das Zimmer gesehen«, sage ich, aber das reicht mir nicht. Ja, wenn ich an das Bett, die schmutzige Decke und die dreckigen Kissen denke, dann glaube ich, dass dort unten Menschen gelitten haben – aber nicht für Geld, und nicht durch Familienangehörige, die auf Rache aus waren.
    »Ich hab niemandem davon erzählt. Keiner von uns. Die Leute messen Gerüchten nicht allzu viel Bedeutung bei, wenn sie von Verrückten erzählt werden. Die Hälfte der Patienten, die dort untergebracht waren, ist inzwischen tot, und die andere ist immer noch total irre. Nachdem der erste Patient im Keller zu Tode gekommen war, brachten die Zwillinge weitere nach unten.«
    »Was ist mit …«
    »Ich möchte nicht weiter darüber reden.«
    »Jesse …«
    »Ich meine es ernst«, sagt er und blickt mir mit erhobener Hand direkt ins Gesicht, und in seinen Augen flackert jene Düsternis auf, die ich vor Jahren dort gesehen habe. »Es ist schrecklich, dass ich mich an alles erinnern kann. Wollen Sie, dass ich aufhöre, meine Medikamente zu nehmen, nur damit ich es wieder vergesse?«
    »Okay, Jesse«, sage ich, immer noch den Schlauch in den Händen. »Keine Frage mehr zu dem Zimmer.«
    »Ich möchte, dass Sie jetzt gehen.«
    »Ich muss Emma Green finden.«
    »Sie war hübsch«, sagt er. »Sie erinnert mich an …« Er verstummt und blickt auf die Pfütze hinab, die sich um seine Füße gebildet hat.
    »An Ihre Schwester?«
    »Ich habe gesagt, Sie sollen gehen«, sagt er hastig.
    »Haben Sie nach Ihrer Entlassung irgendwann mal Pamela Deans gesehen?«
    »Nein.«
    »Was haben Sie danach getan? Wo sind Sie untergekommen?«
    Er lässt den Schlauch fallen. »Was wollen Sie eigentlich von mir?«
    »Ihre Hilfe«, sage ich. »Wenn Emma Sie an Ihre Schwester erinnert, dann sind Sie es ihr schuldig, ihr zu helfen. Das ist Ihre Chance auf ein wenig Wiedergutmachung, Jesse. Die sollten Sie sich nicht entgehen lassen.«
    Er hebt den Blick und starrt unverwandt die Decke an, während er eine Entscheidung trifft. Als er mich wieder ansieht, ist sein Gesicht wutverzerrt. »Einige von uns wurden in eine offene Einrichtung verfrachtet«, sagt er. »Vor ungefähr sechs Monaten durfte ich dann dort ausziehen. Ich habe jetzt eine eigene Wohnung, erscheine stets zur Arbeit, verpasse keinen einzigen Arzttermin und nehme meine Medikamente. Mir geht es gut. Ich bin keine Gefahr für die Gesellschaft mehr«, sagt er, ganz als hätte er diese Sätze immer wieder geprobt, als hätte man ihn gezwungen, sie auswendig zu lernen, nachdem Grover Hills geschlossen und er in die Welt hinausgeschickt worden war, um für sich selbst zu sorgen. »Der Mann auf dem Phantombild sieht aus wie jemand, der ebenfalls dort gewesen sein könnte.«
    »Wo? In der offenen Einrichtung?«
    »Und in The Grove«, sagt er, »so haben wir es immer genannt. Ich kann mich allerdings nicht an seinen Namen erinnern.«
    »Hatte er die Angewohnheit, Haustiere zu töten und auszugraben?«
    Angewidert zuckt er zurück. »Was? Nein, nein, nicht, dass ich wüsste. Mein Gott, das ist nicht richtig«, sagt er, und ich erinnere mich an jenen Tag, als wir ihn abholten, nachdem er die Hände tief in seiner

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