Die Totensammler
gelassen, zwei böse Dämonen, denen es Spaß machte, den Leuten die Seele aus dem Leib zu prügeln und sie bis aufs Blut zu erniedrigen. Ich fand es in Ordnung, dass sie diesen jungen Burschen getötet hatten. Auge um Auge und so weiter. Wie in der Bibel. Doch was dann aus ihnen wurde … dafür sollten sie in der Hölle schmoren.«
»Da tun sie bereits«, sage ich. »Sie wurden beide umgebracht.«
Er zieht die Augenbrauen hoch. »Ach ja, tatsächlich? Tja, ich kann nicht gerade sagen, dass mir das leidtäte. Wer war es?«
»Adrian Loaner.«
»Nein. Adrian? Ich fass es nicht. Ich hatte keine Ahnung, dass er zu so was fähig ist.«
»Klingt, als wären Sie stolz auf ihn.«
»Stolz? Ich weiß nicht, ob das der richtige Ausdruck ist. Aber wenn es einer verdient hat, sie umzubringen, dann Adrian.«
»Wer waren sie? Die Zwillinge?«
»Was meinen Sie damit, mein Sohn?«
»Ich meine, wer sind sie? Kennen Sie ihre richtigen Namen?«
»Sicher doch. Murray und Ellis Hunter.«
»Hunter?«
»Das hab ich gerade gesagt.«
Der Name kommt mir bekannt vor. Im Gefängnis wurde vor ein paar Monaten ein Mann namens Jack Hunter niedergestochen. Schroder hat mich dort aufgesucht und mich gebeten, der Sache nachzugehen, herauszufinden, wer es getan hat.
»Wissen Sie, wo sie gewohnt haben?«
»Warum wollen Sie das wissen?«
»Weil ich glaube, dass Adrian sich dort versteckt hält.«
Er zuckt mit den Achseln. »Das ist eine ziemlich gewagte Vermutung«, sagt er, »aber es ist nicht völlig ausgeschlossen.«
»Absolut nicht«, sage ich. Denn wenn Murray und Ellis Hun ter tot in der Erde von Grover Hills liegen, gibt es irgendwo ein unbewohntes, leer stehendes Gebäude. Vielleicht ist Adrian dort untergekommen, das Haus der Hunters steht jedenfalls ganz oben auf meiner Liste. »Wie lange haben die beiden in Grover Hills gearbeitet?«
Er zieht ein Taschentuch aus seiner Hosentasche. Seine Kleidung ist in einem tadellosen Zustand, sein Hemd ist immer noch zugeknöpft, und seine Krawatte sitzt akkurat, doch so ein schmutziges Taschentuch habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Er wischt sich damit über den Nacken. »Sie haben dort angefangen, ein paar Jahre nachdem ich eingewiesen wurde. Und vor fünf, sechs Jahren haben sie dann aufgehört. Das kam echt überraschend. Keine Ahnung, wo sie danach gearbeitet haben. Damals hat Adrian sie getötet, oder?«
»Nein. Irgendwann in den letzten ein, zwei Wochen. Und Schwester Deans ebenfalls.«
Er stößt einen Pfiff aus, als hätte er gerade begeistert festgestellt, dass sein Wagen schneller fährt als gedacht. »Sie war ein echtes Miststück. Ich habe keine Ahnung, was die Zwillinge nach ihrer Zeit in der Anstalt bis zu ihrem Tod getrieben haben, mein Sohn. Aber bestimmt nichts Gutes. Diese Jungs wa ren böse. Die Patienten waren zwar auch übel, aber die meisten von ihnen waren einfach nur falsch gepolt. So unangenehm das war, man konnte ihnen deswegen keinen Vorwurf machen. Diese Jungs aber, darauf können Sie Gift nehmen, haben nach ihrer Zeit in The Grove weiteren Menschen wehgetan.«
»Und Sie? Was ist Ihre Geschichte?«
»Meine Geschichte ist meine Geschichte«, sagt er und versucht, ein freundliches Lächeln aufzusetzen, doch in seinem Gesicht wirkt es leicht deplatziert. »Denken Sie an unsere Abmachung«, sagt er.
»Ich werde wiederkommen«, verspreche ich.
Zurück im Wagen will ich auf dem Polizeicomputer die Adresse der Hunters nachschauen, doch irgendwann innerhalb der letzten Stunde wurde der Zugang gesperrt, und er fragt nach einem Passwort, das ich nicht kenne. Also fahre ich weiter Richtung Innenstadt. In den meisten Teilen der Welt haben Handys Telefonzellen inzwischen fast überflüssig gemacht, allerdings nicht in Christchurch, wo viele Leute noch in der Steinzeit leben. Einen Block vom Polizeirevier entfernt, am Avon River, finde ich eine Zelle, neben der vier betrunkene Jugendliche in Boxershorts gerade ins Wasser springen. Um den Alkoholkonsum Minderjähriger zu bekämpfen, hat die Regierung in den Neunzigern das Mindestalter dafür herabgesetzt. Auf diese Weise verstießen unzählige Jugendliche im ganzen Land nicht mehr gegen das Gesetz, und die Sache war kein großes Thema mehr. Die Politiker in der Regierung waren die Einzigen, die nicht merkten, was für eine schlechte Idee das war. Damit brachen alle Dämme, und inzwischen haben sie es mit einem gewaltigen Alkoholproblem bei Minderjährigen zu tun.
Ich blättere das Telefonbuch durch.
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