Die Totensammler
vergangen, und es ist ein paar Grad kühler. Ich muss noch mit Emmas Mitbewohnerin reden, doch das soll bis heute Abend warten. Ich fahre nach Hause und hole mir unterwegs beim Chinesen was zu essen. Es ist ungefähr sechs Uhr, als Schroder bei mir aufkreuzt. Seit sechs Stunden bearbeite ich den Fall, und entweder ist Emma Green jetzt sechs Stunden toter oder ihrem Tod sechs Stunden näher. Mein Esstisch ist mit leeren Plastikpackungen übersät und riecht nach leckerem Essen.
»Das hier ist keine gute Idee«, sagt Schroder und hält Emma Greens Akte in die Höhe. »Hast du ’n Bier für mich?«
»Soll das ein Witz sein?«
»Es war ein langer Tag. Hast du schon mal eine Leiche gesehen, die so übel verbrannt war, dass man sie vom Boden kratzen musste?« Im selben Moment fällt ihm ein, dass das der Fall ist. Wir beide. Bei mehr als nur einer Gelegenheit.
»Willst du darüber reden?«
»Nein.«
»Hast du schon einen Blick in die Akte geworfen?«, frage ich und deute mit einem Nicken auf die Mappe.
»Ja«, sagt er, »aber das ist nicht mein Fall. Ich muss herausfinden, wer das Feuer heute gelegt hat. Hast du dir die Akte angesehen, die ich dir gegeben habe?«
»Ich war beschäftigt. Kannst du mir irgendwas erzählen, was nicht da drinsteht?«
»Sicher, aber du hörst ja nicht auf mich. Ich sage dir, lass die Finger davon, erst recht, weil es was Persönliches ist. Komm schon, Tate, du weißt, wenn’s persönlich wird, gibt’s Probleme.«
»Danke für den Tipp.«
»Du, hör mal, ich weiß, dass ich dich das heute Morgen schon gefragt habe, aber wie war es? Im Gefängnis?«
»Kennst du das, wenn du in Urlaub fährst und du weißt nicht, wie das Hotel sein wird oder die Restaurants und Clubs oder der Strand – und dann ist es immer ein bisschen anders, als du es dir vorgestellt hast? Tja, beim Gefängnis ist es nicht so. Es ist genau so, wie man es sich vorstellt.«
»Tut mir leid«, sagt er, aber er kann nichts dafür, und von seiner Entschuldigung kann ich mir nichts kaufen. Er knallt die Akte auf den Küchentisch und lässt die Hand darauf liegen. »Du schuldest mir was«, sagt er. »Sobald du mit deiner Sache fertig bist, möchte ich, dass du mich bei dem anderen Fall unterstützt. Wenn du wieder einen freien Kopf hast, hilfst du mir mit aller Kraft herauszufinden, wer diese Melissa ist. Abgemacht?«
»Hängt davon ab, ob du mich hinhältst oder ob du mir die für meine Ermittlungen nötigen Informationen gibst«, sage ich. »Du bist aus einem bestimmten Grund zu mir gekommen, Carl, du möchtest, dass ich etwas tue, was du nicht darfst.«
»Du irrst dich.«
»Schwachsinn. Du bist einer von den Guten, Carl, darum sind dir die Hände gebunden. Ich habe keine Ahnung, wie du das vor dir rechtfertigst, aber du hast mir heute Morgen diese Akte nicht nur gegeben, damit ich einen Blick hineinwerfe, sondern auch weil ich mir die Finger schmutzig machen soll.«
»Du deutest da zu viel hinein«, sagt er.
»So wie du gerade.«
Er nimmt erneut die Akte. »Soll ich jetzt gehen, um dich eines Besseren zu belehren?«
»Ich will nur nicht, dass du dich beschwerst, wenn ich eine Grenze überschreite, weil du von Anfang an wusstest, dass ich das tun werde.« Ich strecke die Hand nach der Akte aus. »Wir stehen auf derselben Seite, Carl. Sobald ich das Mädchen gefunden habe, helfe ich dir, Melissa aufzuspüren. Versprochen.«
Er nimmt die Hand von der Akte. »Ich habe bei der Sache kein gutes Gefühl«, sagt er.
»Es geht nicht darum, sich gut zu fühlen«, sage ich. »Sondern darum, Emma zu befreien. Ihr Dad meint, sie kann sich durch ihre Überredungskunst aus jeder Lage befreien. Of fensichtlich glaubt er, sie wüsste, wie die Menschen ticken, und wenn es jemand schafft, so was lebendig zu überstehen, dann sie.«
»Jeder andere Vater würde dasselbe sagen.«
Ich nicke. Das stimmt. »Sie ist Psychologiestudentin«, gebe ich zu bedenken.
»Ja, seit knapp zwei Wochen. Ich glaub kaum, dass sie genug gelernt hat, um einen Verrückten, der sie vielleicht vergewaltigen und töten will, davon zu überzeugen, sie freizulassen.«
Er hat recht.
»Und denk dran, Tate, wenn du was rausfindest, lässt du es mich wissen, okay? Du hilfst mir und nicht Donovan Green. Du kommst zuerst zu mir. Klär die Dinge mit mir ab.«
»Sicher doch«, sage ich.
Er glaubt mir nicht, sagt aber nichts. Er steht auf, und ich folge ihm zur Haustür.
»Ach ja, Tate, in der Akte stehen ein paar neue Infos. Wir haben heute Nachmittag den
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