Die Totensammler
Klassenkameraden raubten ihm jede Chance, ein selbstbewusster Schüler zu werden. Monate nachdem Katie ihn als Loser bezeichnet hatte, stellte er fest, dass er Glück nur empfinden konnte, wenn er es jemand anderem nahm.
Und er wusste auch, wie.
Jeden Morgen, während seine Mutter ihm das Frühstück zubereitete, ging er ins Badezimmer und pinkelte in eine Plastikflasche. Den Verschluss schraubte er fest zu. Die Flasche war immer noch warm, wenn er sie in seiner Schultasche verstaute, doch bis zu seiner Ankunft in der Schule war sie abgekühlt. In einem seiner vielen einsamen Momente, zwischen den Sticheleien und Prügeln, ging er dann zu den Spinden und kippte den Inhalt in die Tasche desjenigen, der ihn verletzt hatte. Irgendwann, etwa nach einer Woche, musste er auch etwas über seine eigene Tasche gießen, damit die anderen ihn nicht verdächtigten. Doch er verdünnte den Urin mit so viel Wasser, dass es erträglich war, außerdem nahm er die Sachen, die er nicht ruinieren wollte, vorher raus. Wenn er es nicht schaffte, den Urin in die Taschen seiner Mitschüler zu schütten, goss er ihn in ihre Tische, oder über ihre Uniformen, während sie im Sportunterricht waren. Es dauerte einen Monat, bis ihn der Mut verließ, damit fortzufahren. Denn inzwischen hielten zu viele Leute nach dem Urinator , wie er genannt wurde, Ausschau, außerdem hatte der Direktor zugesichert, dass der Betreffende der Schule verwiesen würde. Egal, das spielte keine Rolle, denn das Schuljahr neigte sich dem Ende zu, die Weihnachtsferien standen vor der Tür. Als sieben Wochen später die Schule wieder anfing, machte er damit weiter, allerdings in längeren Abständen, nur noch ein- oder zweimal pro Halbjahr. Katies Tasche verschonte er, nur die der anderen Mädchen kriegten etwas ab. Dennoch hatte er immer weniger Gelegenheit dazu.
Drei Jahre später, als er sechzehn war, war endgültig Schluss damit. Er weiß nicht mehr, wie der Junge hieß, der ihn auf frischer Tat ertappte – er ließ seinen Urin gerade durch die Lüf tungsschlitze eines Spinds rinnen, der Spind eines Mitschülers, der ihm am Vortag auf dem Flur im Vorbeigehen grundlos ins Gesicht geschlagen hatte. Als ihn der andere Junge entdeckte, zog vor Adrians geistigem Auge in rascher Folge seine Zukunft an ihm vorbei: Zunächst würde seine Mutter davon erfahren, dann würde man ihn der Schule verweisen, und er wäre nur noch unter dem Namen Urinator bekannt. Er war alt genug, um zu wissen, dass sein Traum von einer Karriere als Astronaut keine Zukunft hatte, aber zu jung, um zu wissen, was er mit seinem Leben anfangen sollte; jedenfalls war ihm klar, dass all seine Träume jetzt ausgeträumt waren. Der Junge starrte Adrian wortlos an und verschwand dann.
Der Rest des Nachmittags war das Schlimmste. Er konnte sich in keinem der Fächer konzentrieren. Er hatte das Gefühl, die Lehrer würden ihn komisch mustern. Und er wartete die ganze Zeit darauf, dass jemand mit einer Mitteilung hereinkam, in der Adrian aufgefordert wurde, sich im Büro des Direktors einzufinden. Dann läutete die Schulglocke, der Unterricht war vorbei, und immer noch war nichts passiert. Als er zu Hause ankam, dachte er bei jedem Telefonklingeln, dass der Direktor mit seiner Mutter sprechen wolle und man ihn der Schule verweisen würde, doch der Anruf kam nicht.
War der erste Tag schon schlimm gewesen, dann war der zweite noch um einiges schlimmer. Zum Frühstück kriegte er keinen Bissen runter. Ihm war den ganzen Tag schlecht. In den Pausen und während des Mittagessens hockte er auf der Toilette und hatte das Gefühl, er hätte einen Fußball verschluckt.
Am dritten Tag kam der Junge dann nach der Schule auf ihn zu. Und er war nicht allein. Sie packten ihn und zerrten ihn in einen Park. Mit vereinten Kräften drückten sie Adrian zu Boden und fesselten ihn. Doch anstatt ihn zu treten oder zu schlagen, stellten sie sich im Kreis um ihn auf und pinkelten ihn voll, insgesamt acht Schüler. Der Urin spritzte über seine Haut und lief an seinem Körper hinunter. Unter seinem Rücken und seinem Po bildete sich eine Pfütze und durchnässte seine Klamotten. Dann steckten sie ihm einen Stock zwischen die Lippen, damit er den Mund nicht schließen konnte. Sie zielten auf sein Gesicht, der Urin lief ihm in die Augen und brannte, er rieselte auf seine Zunge und verätzte ihm den Rachen. Adrian würgte, hustete und prustete, die Pisse sammelte sich in seinem Hals, und er hatte das Gefühl zu ertrinken. Es kam
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