Die Totensammler
Parkplatz hinter dem Café abgesucht, in dem Emma gearbeitet hat.«
»Ich weiß. Ich war vorhin da.«
»Tja, also, ich hoffe, ihr Vater hat recht, und sie weiß, wie man sich richtig verhält, denn momentan sieht’s nicht gut aus.«
»Hat es das je?«
»Viel Glück, Tate«, sagt er. »Und tu mir einen Gefallen.«
»Ja? Was denn?«
»Versuch, niemanden umzubringen.«
Kapitel 12
Als Kind fiel es Adrian schwer, Glück zu empfinden. Er fand es in seiner Musik und seinen Comics, außerdem hatte er eine Spielzeugautosammlung, die er über alles liebte. Kleine Metall autos mit beweglichen Teilen, und jedes Mal wenn er eines bekam, stellte er sich vor, dass er es sich als Erwachsener im Maßstab 1:1 kaufen könnte. Egal, was ihm in der Schule wider fuhr, zu Hause warteten die Autos auf ihn, zusammen mit seinen Kassetten und seinen Comics, das konnte ihm niemand nehmen. Die Autos standen in gleichmäßigen Abständen auf einem Regal in seinem Schlafzimmer, und einmal pro Woche staubte er sie ab. Seine Musiksammlung hatte er nach Farben geordnet, sodass die Rückseiten der Kassettenhüllen einen Ver lauf bildeten. Und die Umschläge seiner Comics hatten kein Eselsohr, kein einziges. Das machte ihn glücklich.
Und Katie. Im Alter von dreizehn Jahren verliebte er sich in ein Mädchen, das neu auf der Schule war, mit grünen Augen und langem rotem Haar, das zu einem Pferdeschwanz gebunden war und an den Enden ausfranste. Sie war ein wenig größer und schwerer als er, und es hätte einen ganzen Tag gedauert, die Sommersprossen auf ihren Wangen zu zählen; am liebsten hätte er jede davon einzeln eingesammelt. Ihre Familie war von Dunedin hier heraufgezogen, eine Stadt im Süden, neben der Christchurch wie eine Großstadt wirkte. Als er sie zum ersten Mal sah, zog sich sein Magen zusammen, sein Brustkorb wurde ganz warm, und er kriegte einen trockenen Mund. Sie hatte ein nervöses Lächeln, das er nicht mehr aus dem Kopf bekam, und er malte sich aus, wie er sie händchenhaltend nach Hause begleitete. Sie kam in seine Klasse und saß am anderen Ende des Zimmers, ein Stück vor ihm, sodass er ihr den ganzen Tag über verstohlene Blicke zuwerfen konnte. Er hatte keine Ahnung, wie sie reagieren würde, wenn sie zu ihm rüberschaute und ihn dabei erwischte, doch sie schaute kein einziges Mal zu ihm rüber. Bei jedem Schüler, der neu auf die Schule kam, gab es zwei mögliche Reaktionen – entweder waren die Kinder an ihm interessiert und freundeten sich mit ihm an, oder sie hänselten ihn. Katie wurde gehänselt. Es kam vor, dass die anderen sie beim Mittagessen oder in den Pausen herumschubsten und versuchten, sie zum Weinen zu bringen. Manchmal mit Erfolg.
Adrian liebte die Vorstellung, für sie Partei zu ergreifen, so sehr wie er sie selbst liebte, doch er war ein Feigling, und das wusste er. Schon die Mädchen waren stärker als er. Und die J ungs konnten ihn fertigmachen. Jene Momente, in denen man vor den anderen das Wort ergreifen musste, gehörten zu den Sachen, die er am schrecklichsten an der Schule fand. Er hasste es, ein Referat zu halten. Dann musste er sich in seiner Second handuniform vor die Klasse stellen, in seinen schlabbrigen Shorts, mit seinen spindeldürren Armen und Beinen, und egal, wie oft er das Referat geprobt hatte, er konnte sich nicht mehr an die Wörter erinnern. Egal, wie viel Wasser er trank, sein Mund war immer trocken. Und jedes Mal hörte er die anderen kichern, spürte er, wie er rot wurde, und jedes Mal wollte er nur noch aus dem Klassenzimmer stürmen und möglichst weit weglaufen.
Das neue Schuljahr war bereits ein paar Monate alt, die Sonne stand inzwischen tiefer am Himmel, und jeden Morgen war es ein wenig kälter, das Laub wurde von den Füßen der Kinder ins Klassenzimmer getragen – und die Schüler sollten ein Referat über ihre persönlichen Vorbilder halten. Adrian hatte sich für Neil Armstrong entschieden, denn seit seinem zehnten Lebensjahr wollte er nichts anderes, als so weit weg zu sein wie der Mond. Ja, er malte sich aus, Kapitän auf einem Raumschiff zu sein und die Galaxie zu erforschen, auch wenn er das in seinem Vortrag nicht erwähnte. Er wollte der erste Mensch sein, der einen Fuß auf den Mars setzte. In seinem Referat erzählte er von den Gemini- und Apollo-Missionen und von Armstrongs Zeit als Testpilot. Er stotterte fast ununterbrochen und war so nervös, dass ihm die Notizzettel aus den zitternden Händen glitten. Dabei gerieten sie durcheinander, und so
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