Die Totensammler
und die Jahre walzten weiter über ihn hinweg, im nächsten Jahr würde er fünfzig werden, und die Vorstellung kotzte ihn an, ja, sie kotzte ihn echt an.
»Alles okay«, sagte er.
»Sicher?«
»Absolut«, antwortete er und ließ erneut seine Schlüssel fallen.
»Ich bin eine Ihrer Studentinnen«, sagte sie. Gott, wie hübsch sie war.
»Äh, danke für Ihre Mühe«, sagte er und wusste selbst nicht genau, was er damit meinte. Dann schloss er seine Tür auf.
»Sagen Sie«, sagte sie, »soll ich Sie nach Hause fahren?«
»Ich weiß nicht«, sagte er, doch in Wirklichkeit wusste er es. Er wäre gerne mit zu ihr nach Hause gefahren. Dort konnten sie sich ein paar Drinks genehmigen … Scheiße, das hatte sie gar nicht gemeint. Sie wollte ihn zu seinem Haus fahren. »Ich brauche unbedingt meinen Wagen, ich muss morgen früh was erledigen«, sagte er. »Ich komm schon zurecht.«
»Es macht mir nichts aus«, sagte sie. »Wir nehmen Ihren Wagen, und Sie zahlen mir ein Taxi zurück.«
Damit war die Sache besiegelt, und auf der Fahrt sprach er kaum, dachte über seine Frau nach, seinen Job, über Männer, die sich nahmen, was sie wollten, und er dachte, ehrlich währt am längsten, und er wollte dieses Mädchen, wollte sie mehr als alles andere, wollte sich in ihrer Gegenwart wieder jung fühlen.
»Wollen Sie auf einen Drink mit reinkommen?«, fragte er, nachdem sie seinen Wagen in die Garage gefahren hatte.
»Ich sollte wieder zurückfahren.«
»Nur den einen«, sagte er. »Ich verspreche, Sie nicht aufzuhalten. Ich bin Professor für Kriminologie«, sagte er, »und ich kann Ihnen versichern, dass es ein Verbrechen ist, einen fast fünfzigjährigen Mann alleine trinken zu lassen.«
Und sie sagte Ja. Jetzt, drei Jahr später, weiß er immer noch nicht, warum sie das getan hat, oder wie genau es dazu kam, dass er sie anbaggerte. Ihre Abfuhr tat weh, ja, so sehr, dass er ihr auch wehtun wollte. So fing alles an, mit dem Verlangen, es ihr heimzuzahlen, seine Frau leiden zu lassen – nur dass dieses Mädchen nicht seine Frau war, sondern nur ein Ersatz für sie. Laut Lehrbüchern war all das zusammengenommen das, was man einen Trigger nennt. Und damals wusste er das bereits.
Es fing mit der Heimfahrt an und führte dazu, dass er sie in sein Schlafzimmer zerrte und ihr die Klamotten vom Leib riss, gewaltsam in sie eindrang, ihr dabei die Augen zuhielt, damit sie ihn nicht sehen konnte. Und als er fertig war, lag er keuchend da, ihren Körper unter sich eingeklemmt, und dann begriff er plötzlich, was er getan hatte.
»Tut mir leid«, sagte er, während er sich von ihr herunterwälzte. Ihm brummte der Schädel von dem Alkohol, und ihm war schlecht.
Sie sagte keinen Ton. Starrte bloß an die Decke, mein Gott, ohne auch nur einmal zu blinzeln. An der Seite ihres Gesichts lief ein schmales Rinnsal Tränen hinunter.
»Ich … ich weiß nicht, wie das passieren konnte«, sagte er. »Bitte, bitte, ich … Es tut mir leid.«
Er berührte sie an der Schulter. Sie zuckte nicht mal zurück. Rührte sich nicht.
»Alles … alles in Ordnung?«
Sie antwortete nicht. Schaute ihn nicht an. Rührte sich nicht.
So langsam kriegte er es mit der Panik. Sie würde der Polizei erzählen, was passiert war. Er würde seinen Job verlieren. Würde im Knast landen. Und dann würde man sein Buch nicht veröffentlichen. Und ganz bestimmt würde er seine Frau nicht zurückkriegen. Und wenn er irgendwann aus dem Knast kam, was sollte er dann tun? Niemand hätte mehr Respekt vor ihm. Niemand würde ihn anstellen. Sein zukünftiges Ich wäre verloren.
Die einfachste Lösung wäre natürlich, sie zu töten. Aber wäre er in der Lage, diese Grenze zu überschreiten? Nun, er hatte bereits eine Grenze überschritten, also konnte er diese auch überschreiten. Er konnte sie zusammengeschnürt in seinem Wagen verstauen und irgendwo entsorgen. Dieser Teil wäre kein Problem. Sie allerdings zu erwürgen oder zu erstechen, dazu war er nicht fähig.
»Ich habe Geld«, sagte er zu ihr, obwohl das nicht stimmte. Das Haus gehörte ihm und seiner Frau, und sie hatten zwar nur eine niedrige Hypothek aufgenommen, doch jetzt, wo seinen Frau ihn verlassen hatte, musste er ihr ihren Anteil auszahlen. Als sich das Mädchen immer noch nicht bewegte, hockte er sich auf die Bettkante und zog seine Hose wieder an. »Es gehört dir. Alles«, sagte er, und er meinte es ernst. Er würde das Haus verkaufen, und sollte etwas Geld übrig bleiben, würde er es ihr geben.
Weitere Kostenlose Bücher