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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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noch drei oder vier Tage dahinsiechen. Wollte man ihn richtig lange leiden lassen, reichte man ihm regelmäßig Wasser, damit er nicht bereits nach wenigen Stunden das Bewusstsein verlor.
    Der Karren hielt, zwei Büttel zerrten Wilhelm Götzer heraus und führten ihn vor die Tribüne. Die Menge grölte.
    Der Ausrufer hob die Arme. »Ruhe! Gebt Ruhe, damit das Gericht seine Arbeit beginnen kann.«
    Es wurde stiller, nur vereinzelte Gaben flogen noch durch die Luft, hier und da schimpfte jemand, weil ihm ein anderer die Sicht versperrte.
    Als nur noch leises Tuscheln und Kichern zu hören waren, erhob sich der Schultheiß, zog ein Pergament hervor und verlas die Anklage: »Dem Müllermeister Götzer Wilhelm wird vorgeworfen, am Annatag dieses Jahres auf seinen Bruder, den Müllermeister Franz Götzer, mit einem Dreschflegel so lange eingeschlagen zu haben, bis dieser tot war. Der Franz Götzer hatte den Wilhelm Götzer weder angegriffen, noch konnte er sich wehren, denn der Wilhelm Götzer hat ihn von hinten angegangen. Dies tat der Wilhelm Götzer, um an das Geld zu kommen, das sein Bruder bei sich trug. Damit wollte er seine Schulden bezahlen. Dies ist niederträchtig, und das Gericht ist entsetzt über so viel Bosheit, die ihresgleichen sucht. Wilhelm Götzer, gesteht Ihr Eure schändliche Bluttat?«
    Eine gespenstische Stille legte sich über den Richtplatz. Laub raschelte leise im Wind, jemand hustete.
    Melisande hatte den Angeklagten nicht aus den Augen gelassen. Der stand immer noch da wie betäubt.
    Irma schien es ebenfalls bemerkt zu haben. Sie stupste Melisande an. »Hast du dir den Wilhelm Götzer angesehen?«, flüsterte sie. »Er sieht aus, als würde er jeden Augenblick einschlafen. Müsste er nicht vor Angst schlottern?«
    Melisande antwortete, ohne nachzudenken. »Der Henker hat offensichtlich übertrieben.«
    »Übertrieben? Womit?«
    »Traumtropfen. Man gibt sie ängstlichen Missetätern, damit sie gestehen. Die Angst schnürt so manchem die Kehle zu, und wenn der Beschuldigte nicht gesteht, dann kann er nicht verurteilt werden und alles fängt von vorn an. Die peinliche Befragung muss wiederholt werden, und die hohen Herren stehen dumm da.«
    »Was du alles weißt …« Irma reckte sich und musterte den Götzer neugierig.
    Melisande tat es ihr gleich. Offenbar hatte der Henker inzwischen auch bemerkt, dass der Angeklagte von sich aus nicht den Mund öffnen würde, denn er trat zu ihm hin, fasste ihn am Arm und drückte zu. Der Mann zuckte zusammen, blickte zuerst zum Henker, der ihm energisch zunickte, dann zu den hohen Herren, denen die Anspannung ins Gesicht geschrieben stand. Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder.
    Ein Raunen ging durch die Menschenmenge.
    »Gesteht Ihr Eure schändliche Tat?«, wiederholte der Schultheiß. Schweiß lief ihm über die Stirn. »Gesteht Ihr, Euren eigenen Bruder aus Habgier erschlagen zu haben?«
    Götzer glotzte ihn verständnislos an. Der Henker presste noch einmal die Hand um seinen Arm, diesmal deutlich fester.
    »Ja!«, schrie Götzer. Es hätte genauso gut ein Schmerzensschrei sein können, doch das interessierte niemanden. Die Menge johlte, der Henker atmete sichtlich erleichtert aus, die hohen Herren entspannten sich, und der Schultheiß tupfte sich die Stirn.
    Melisande kniff die Augen zusammen. Die machten es sich leicht, die Rottweiler. Denen reichte ein einziges Wort als Geständnis.
    Der Richterstab krachte auf Holz. »Volk von Rottweil!«, rief der Schultheiß gegen den Lärm. »Volk von Rottweil! Im Namen Gottes und des Kaisers verurteile ich hiermit den Wilhelm Götzer zum Tode. Da seine Tat besonders hinterhältig war und der Verurteilte von teuflischer Gier getrieben, soll er lebendig begraben und mit sieben Schlägen gepfählt werden. Dies geschehe zur Ermahnung aller, die glauben, das Recht ohne Strafe brechen zu können. Das Urteil wird sogleich vollzogen.«
    Jubel brach los. Lebendig begraben und gepfählt! Ein solches Spektakel bekamen die Bürger von Rottweil offenbar selten zu sehen. Von hinten drängten sich die Menschen nach vorn, um besser sehen zu können, Eltern hoben ihre Kinder auf die Schultern, einige besonders tollkühne Burschen kletterten auf die nächsten Bäume. Nur Melisande blieb still stehen, ihr lief es eiskalt über den Rücken.
***
    »Herrin, ich konnte Eberhard von Säckingen die Botschaft noch nicht überbringen. Gerade, als ich in Wendlingen …«
    »Schweigt!« Othilia musste sich beherrschen, um dem Mann, der zu

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