Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
Tibbs.« Er griff vergnügt an seine Mütze, als er sich vorstellte. »Kann ich Sie noch fragen …«
»Heather?« Atamarie tippte die Schulter ihrer Tante an. »Wir wollen dann losfahren. Du kommst doch mit auf die Farm?«
Heather zog ihre Aufmerksamkeit von Bulldog ab und runzelte die Stirn. »Gern, aber nicht mit deinem Richard, Atamarie«, beschied sie ihre Nichte. »Wir werden uns eine Chaise mieten und zumindest den Anschein erwecken, dass hier alles schicklich bleibt. Herrgott, Mädchen, die Leute reden doch garantiert jetzt schon!« Heather zog ihre Geldbörse. »Entschuldigen Sie, Mr. Tibbs, es war wirklich nett, Sie mal wiederzusehen. Aber jetzt muss ich mich um meine Nichte kümmern, sonst sind wir gleich Stadtgespräch.« Sie verdrehte die Augen. »Blind verliebt.« Heather lächelte, als sie das Geld für Bulldog abzählte. »Waren Sie damals doch auch, in Violet, nicht wahr? Der geht es sehr gut. Aber jetzt muss ich wirklich …«
Heather grüßte freundlich und machte sich auf in den Laden, um die Verkäuferin nach einem Mietstall zu fragen. Bulldog blieb mit seiner Frage zurück. Wobei es ihn durchaus interessierte, wie es Violet ging. Aber verliebt gewesen war er nicht in sie. Wenn er an die Mädchen dachte, die er damals beschützt hatte, sah er auch nicht mehr die kleine Schönheit mit ihrem mahagoniefarbenen Haar und den betörend blauen Augen vor sich, sondern spürte eher eine kleine, schüchterne Hand in der seinen. Rosie hatte ihn nur einmal angefasst – als ein Sturm das Schiff hin und her warf und obendrein ein paar freche Jungen hinter den Mädchen her waren. Aber er wusste noch, wie süß sie gewesen war, wie ängstlich und zart. Eine kleine Kostbarkeit, die er beschützen wollte. Bei Rosie gelang es ihm – zumindest auf dem Schiff. Seiner eigenen Schwester, Molly, hatte er nicht helfen können.
Bulldog rieb sich die Stirn. Er wollte nicht mehr an Molly denken und besser auch nicht an Rosie. Aber er hätte doch gern gewusst, wie es ihr ging.
Atamarie kletterte brav in Heathers gemietete Chaise, während Richard seinen Motor allein zurück zu seiner Farm kutschierte. Trotzdem war die Geschichte von Atamaries Rückkehr binnen kürzester Zeit in Timaru verbreitet – und natürlich auch die Kunde davon, dass Cranky-Dick wieder mal die Bodenhaftung zu verlieren drohte.
Immerhin erwartete Atamarie eine Überraschung, als sie schließlich auf Richards Farm eintrafen. Sie hatte sich Sorgen gemacht – wie viel abstoßender würde der Zustand der Farm auf Heather wirken, wenn er schon sie bei ihrem ersten Besuch so entsetzt hatte? Hier hatte sich seit der letzten Ernte allerdings einiges geändert. Natürlich standen und lagen immer noch überall marode Landmaschinen und zerlegte Motoren, aber es liefen doch keine Tiere mehr frei umher, und alles schien aufgeräumter. Auch die Felder, die wieder kurz vor der Ernte standen, wirkten gepflegt. Atamarie fragte sich, ob Richard vielleicht doch sein Faible für die Farmarbeit entdeckt hatte, aber dann zeigte sich des Rätsels Lösung in Gestalt des jungen Hamene. Atamarie begrüßte ihn freudig.
»Arbeitest du jetzt immer hier?«, fragte sie den ehemaligen Erntehelfer. »Das war eine gute Idee von Richard, dich einzustellen!«
Hamene, ein kräftiger junger Mann, der sich zumindest so weit an das Leben in der Waitohi-Ebene angepasst hatte, dass er die Farmerkleidung der pakeha trug und sich von seinem langen Haar und Kriegerknoten getrennt hatte, lächelte ihr zu.
»Das war nicht Richards Idee, sondern Shirleys«, erklärte er. »Und unsere Ältesten hatten nichts dagegen, dass ich hier helfe. Der pakeha kann das alles nicht, er ist doch tohunga …«
Hamene warf einen bewundernden Blick auf seinen Arbeitgeber, der eben Anstalten machte, den Motor zu entladen.
Die Stellung eines tohunga war bei den Stämmen hoch geachtet. Selbstverständlich erwartete man von genialen Drachenbauern, Jade- oder Holzschnitzern, Priestern oder Hebammen keine zusätzlichen Arbeitsleistungen auf den Feldern, bei der Jagd oder der Nutztierhaltung. Für Hamene war es ganz selbstverständlich, Richard das abzunehmen. Aber wer war Shirley? Atamarie erinnerte sich nach kurzem Nachdenken an die junge Frau, und das Bild einer nichtssagenden blonden jungen Frau stieg vor ihr auf, einer der Hansley-Töchter. Atamarie hatte sie ein paarmal gesehen, aber mit Richard hatte sie damals nie mehr als einige Worte gewechselt – und erst recht nicht mit Atamarie.
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