Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
gefährlich, wenn ihr damit noch meilenweit über Land fahrt.«
Nach dem zweiten Whiskey war Kevin fähig gewesen, an der Diskussion über ein weiteres Vorgehen teilzunehmen. Der Schock klang langsam ab, und er wurde sich klar über die Konsequenzen. Wenn Coltranes Leiche im Lager gefunden wurde und es zu einer Untersuchung der Tat kam, würde irgendjemand dafür vor Gericht stehen. Kevin dachte zunächst daran, es selbst auf sich zu nehmen, aber wenn er ins Gefängnis musste, wäre Doortje wieder ungeschützt, auf sich allein gestellt mit ihrem Kind. Nein, die einzige Lösung bestand darin, Coltranes Leiche und sein Pferd verschwinden zu lassen – und standhaft zu leugnen, dass er je im Lager aufgetaucht war.
Das war allerdings nicht so einfach.
»Wir hatten seit einer Woche keine Todesfälle«, hatte Roberta angemerkt. »Wenn wir jetzt ein frisches Grab ausheben – was willst du Greenway erzählen? Und falls dieser Coltrane jemandem erzählt hat, dass er herkommen wollte, wird man ihn hier auch suchen. Und mit ein bisschen Pech weiß jemand, dass ihr beide nicht die besten Freunde wart, und forscht weiter nach. Nein, nein, er muss ganz weg von hier. Weit weg.«
Kevin nippte ein weiteres Mal an seinem Whiskey. »Aber wo wollt ihr ihn hinschaffen? In irgendeine Seitenstraße von Karenstad? Kneipenschlägerei?«
Roberta kaute auf ihrer Lippe herum. »Auch nicht schlecht«, meinte sie dann. »Aber riskant. Wenn uns einer sieht … nein, nein, ich dachte …«
Vincent fiel ihr ins Wort. »… ins Veld«, sagte er. »Zu den …«
»… Löwen«, endete Roberta und warf Vincent einen verständnisvollen Blick zu.
Es war das erste Mal gewesen, dass sie einen Gedanken mit ihm teilte.
Schließlich trabte Lucie gelassen vor dem Leiterwagen aus dem Lager, gefolgt von Roberta auf Coltranes Pferd. Kevin und Dr. Greenway betreuten die Kranken im Zelt, Nandé kümmerte sich im Haus um die immer noch wie paralysiert wirkende Doortje. Der Weg, über den der schwarze Führer Roberta und Vincent noch am Morgen zurück ins Lager gebracht hatte, war leicht zu finden, aber der Wagen hielt auf, und so wurde es später Abend, bevor sie die Stelle erreichten, an der sie die Nacht zuvor verbracht hatten. Die schwarzen Boys hatten die Zelte bereits abgebaut und waren der Safarigruppe damit gefolgt. Nur die Spuren des Lagerfeuers und das niedergetretene Savannengras zeugten von der Anwesenheit der Menschen.
Roberta zitterte, als sie Vincent half, den Toten vom Wagen zu heben. Vorher hatte der Tierarzt ein Feuer an der alten Feuerstelle entzündet und improvisierte auch Fackeln, um den Wagen auf der Rückfahrt zu beleuchten. Die Tiere aus dem Busch würden Abstand halten. Sie fürchteten die Menschen und mehr noch das Feuer.
»Werden sie denn überhaupt kommen?«, fragte Roberta ängstlich. Vincent hatte die Leiche unter einem Baum abgelegt, jetzt verbrannte er die blutige Decke. »Sind Löwen überhaupt … Aasfresser?«
Vincent zuckte die Achseln. »Wenn nicht die Löwen, dann Kojoten oder Geier. Und sie werden kommen, sobald das Feuer erkaltet ist. Spätestens übermorgen wird nichts mehr übrig sein außer ein paar Knochen. Wenn die einer findet – umso besser. Hauptsache, es gibt keine Leiche mit einem Messerstich im Rücken. Und nun komm. Oder willst du noch beten?«
Roberta schüttelte den Kopf. Sie wollte nur weg. Und ihren Kopf an Vincents Schulter lehnen. Sie wusste immer noch nicht, ob sie ihn liebte, aber sie kannte ihn inzwischen besser, als sie Kevin Drury je gekannt hatte. Er mochte nicht so aufregend draufgängerisch sein wie Kevin, und er sah nicht so gut aus. Aber er war … rücksichtsvoll. Zitternd sah Roberta zu, wie er Coltranes Rappen das Zaumzeug abnahm und so an einen Busch hängte, als habe er es sich abgestreift.
»Es wäre besser, es dranzulassen, aber dann bleibt er damit womöglich irgendwo hängen. Mach’s gut, Alter!« Vincent klopfte dem Pferd freundlich den Hals, hob dann aber die Arme und trieb es weg. Der Rappe setzte sich sofort in Galopp und rannte über das Veld, wie vom Teufel getrieben. »Der hat auch Angst«, meinte Vincent seufzend und ging zum Wagen. Die Fackeln daran brannten bereits, während das Feuer nur noch glühte. »Kommen Sie, Miss … Komm, Roberta!« Roberta erkletterte den Bock. Sie wehrte sich nicht, als Vincent den Arm um sie legte. »Wo hast du denn eigentlich deinen Glücksbringer?«, fragte er interessiert, um das angespannte Schweigen zu brechen, das
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