Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
irgendetwas konnte sie verzögern. Vorerst jedenfalls blieb den Drurys nur die verkrampfte Konversation mit Patrick. Immerhin lächelte Juliet strahlend und duftete verführerisch, als sie endlich zu ihnen stieß. Lizzie verstand das nicht.
Aber immerhin unterhielt Juliet die Runde für die nächste Viertelstunde mit harmlosem Klatsch über Leute, die sie angeblich in der Stadt getroffen hatte, erzählte unbedarft von den letzten Konzerten und Soirees und sprach über die neueste Mode – wobei sie Lizzies Reformkleid mit abschätzigen Blicken bedachte.
Und dann endlich erschienen auch Michael, Doortje und der Besuch aus Parihaka. Matariki wollte gar nicht mehr aufhören, ihre Eltern zu umarmen.
»Maori tun das übrigens nicht«, erklärte sie dann der erstaunlich interessiert lauschenden Doortje. »Wir tauschen den hongi . Und das ist bitte nicht als Nasenreiben zu verstehen!« Zu Lizzies, Michaels und Kevins völliger Verblüffung demonstrierte sie Doortje kurz, wie man zunächst die Stirnen aneinanderlegte und dann die Nasen sanft aneinanderpresste. »Das geht auf den Gott Tane zurück, der den Menschen den ersten Atem eingehaucht hat. Wenn wir beim Begrüßungszeremoniell den hongi tauschen, nehmen wir die Besucher damit in unsere Familie auf.«
Juliet lachte. »Ein reichlich archaisches Ritual«, bemerkte sie. »Könnte aus Ihrem etwas rückständigen Land kommen, nicht wahr, Dorothy? Wenngleich nicht ohne Reiz … man kommt einander zwanglos näher.« Sie lächelte Michael zu.
Matariki runzelte die Stirn. Sie hatte einiges von Juliet gehört – schließlich tauschte sie Briefe mit einigen Frauen in Dunedin, und die Geschichte der Kreolin war ihr in groben Zügen bekannt. Juliet hatte zunächst etwas mit Kevin gehabt und dann Patrick geheiratet. Atamarie, Kathleen und Violet hatten das mit Verwunderung vermerkt, während Lizzie sich über die Einzelheiten ausschwieg, aber lebhafte Schilderungen ihrer häuslichen Auseinandersetzungen mit Juliet lieferte. Sowohl damals, gleich nach der Eheschließung, als auch jetzt, in den letzten Monaten. Nur in den letzten drei Monaten vor Mays Geburt hatte sie kaum etwas von Lizzie gehört und schon damals geargwöhnt, dass vielleicht etwas faul war. Jetzt bestätigte sich ihr Verdacht: Die kleine May trug eindeutig Kevins Züge – und Juliet hatte nur Augen für ihren früheren Liebhaber.
Matariki lächelte in sich hinein. Offensichtlich zogen ihre beiden Brüder die Kinder anderer Männer auf. Aber Juliet schien sich noch nicht mit ihrer Situation abgefunden zu haben. Sie demütigte Doortje und flirtete mit Kevin. Und dabei war sie strahlend schön. Kein Wunder, dass Doortje geradezu panisch reagiert hatte, weil ihr und Matariki kaum noch Zeit für die Schönheitspflege geblieben war. Schließlich hatte sie Kevin gebeten, sie zu schnüren, und wäre fast schon wieder zusammengebrochen, als der rüde ablehnte und seinerseits im Bad verschwand. Auch etwas, das Matariki gewundert hatte. Nach ihren Erfahrungen mochten es zumindest pakeha -Männer, ihren Frauen mit dem Korsett behilflich zu sein. Schließlich kamen sie ihnen dabei körperlich näher, mussten aber mit dem Reiz des Verbotenen kämpfen und den begehrten Körper zunächst verstecken, um ihn später wieder zu befreien. Matariki hätte ihren Bruder so eingeschätzt, dass er dieses Spiel genoss. Aber natürlich war er wütend, dass die Frauen ihn ausgesperrt hatten. Die hastig redende Doortje hatte es gar nicht gemerkt, aber Matariki war sein ungestümes Poltern gegen die Tür nicht entgangen. Allerdings war er erst erschienen, nachdem die vereinbarte Zeit für das Treffen mit den Eltern längst verstrichen war. Sie fragte sich jetzt, wo ihr Bruder die fehlende Stunde verbracht hatte …
»Oh, der hongi hat auch eine ganz praktische Bedeutung«, bemerkte sie nun in Richtung Juliet. »Wir tauschen ihn genauso mit unseren Feinden – dabei lernen wir ihre Gestalt, ihre Form, ihren Geruch und ihr Denken kennen … Je näher man sich ist, desto besser kann man einander bekämpfen. Möchten Sie auch mal, Juliet? Ich würde Sie gern näher kennenlernen. Sie sind doch Juliet, nicht wahr?«
Matariki lächelte sardonisch. Patrick wirkte wieder mal peinlich berührt. Aber jetzt würden sie ja wenigstens das Essen bestellen können und dann etwas zu tun haben … Er reichte May, die bisher auf seinem Schoß gesessen und mit Teelöffeln und Gabeln gespielt hatte, an Nandé. Die schwarze junge Frau stand wie ein
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