Die Tränen der Massai
ohrenbetäubend, aber für Jack war das Beunruhigendste das Beben, das ihre stampfenden Beine erzeugten. Es drang in seine Stiefel, zuckte durch seine Beine nach oben und traf ihn in die Brust.
Als Tingisha die Frau des Journalisten am Arm nahm, wurde sie ohnmächtig und sackte wie ein Bündel Wäsche zu seinen Füßen zusammen. Er hob sie hoch und drängte sich mit ihr durch die stacheligen Büsche auf die Felsgruppe zu. Jack folgte ihm und stolperte dabei über etwas, das im Gras lag. Es war die Schrotflinte. Er schaute von der Flinte zu den Elefanten, die jetzt nur noch fünfzig Schritte entfernt waren und schnell näher kamen.
Bears Stimme erreichte ihn über das Stampfen und Trompeten hinweg: »Nimm die Flinte! Jack! Nimm die Flinte!«
Jack streckte den Arm aus, konnte sich aber nicht überwinden, die Waffe anzufassen. Wieder versuchte er es und wich zurück, als hätte ihn ein elektrischer Schlag getroffen. Die Elefanten waren nun zu nah, als dass er noch die Felsen hätte erreichen können. Er biss die Zähne zusammen, die Fingerspitzen an der Waffe. Die Elefanten ragten am Rand seines Gesichtsfelds auf. Bears Stimme schien von sehr weit her zu kommen.
»Jack! Die Flinte!«
Plötzlich wusste er, dass er tun konnte, was notwendig war. Sein adrenalinbeeinflusster Geist hatte das Geschehen zu einer Geschwindigkeit verlangsamt, mit der er zurechtkam. Das Trompeten und Stampfen der Elefanten war gedämpft, ihre Bewegungen waren ein wunderbar choreographiertes Ballett von Macht und Anmut. Jeder Schritt ließ eine Staubwolke aufsteigen, aber die erderschütternde Wucht war verschwunden. Stattdessen erklang nur gedämpftes Krachen. Der träge Schlag einer Basstrommel in einem Lied. Und Jacks Geruchssinn war unnatürlich geschärft. Er glaubte, die Elefanten riechen zu können. Eine Erinnerung an einen heugefüllten Unterstand im Taronga-Park-Zoo. Ein erdig warmer Geruch nach trockenem Gras und heißem, dampfendem Atem an einem kalten Tag in Sydney.
Er hatte eine Ewigkeit Zeit, um zu entscheiden, was er als Nächstes tun würde.
Langsam richtete er sich auf. Die Flinte lag in seinen Händen wie ein fremdes Geschöpf. Sie war alt. Er konnte sich vorstellen, dass sie einmal einem großen weißen Jäger gehört hatte. Ein Gegenstand von Stolz und Macht. Nun war sie ein altes, ungeliebtes Relikt einer ruhmreichen Vergangenheit. Eine raue Spur von Rost zog sich unter seinen Fingern über den Lauf. Der Schaft war gerissen, aber Reste von Lack lagen noch auf dem Rotholz, das der Gewehrträger des vergessenen Jägers sicher viele Stunden poliert hatte. Dann hatte Jack den Schaft an der Schulter. Sein letzter Gedanke, bevor der erste Elefantenbulle vor dem Lauf auftauchte, galt der Vertrautheit des Abdrückens.
Klick.
Schweiß auf seiner Stirn.
Er hielt ihre drängenden Hüften, eine Hand an der Waffe. Sie wand sich auf dem Sand wie eine läufige Hündin und brachte ihn schier um.
Zurückhalten. Konzentrieren. Zählen.
So schwer, sich zu beherrschen. Zurückhalten.
Die Waffe war glitschig in seinen Händen.
Zählen.
Wie oft hatte er bereits abgedrückt?
Klick!
Die Gestalt über ihm war vom Gold des westlichen Himmels umrandet. Bears Stimme drang nach und nach durch das Klingeln in seinen Ohren. Er stellte Fragen. Dumme Fragen.
»Ja, ich bin in Ordnung«, murmelte Jack. Er lag auf dem Rücken im Staub. »Was ist passiert?«, fragte er und kam auf die Ellbogen hoch.
»Das verdammte Ding hätte dir beinahe den Kopf abgerissen«, antwortete Bear und nahm einem der anderen die Flinte ab, um sie Jack zu zeigen. »Sieh dir das nur an!«
Der Lauf war eingerissen wie die Blütenblätter einer Lilie.
Bear zog Jack hoch. Jack spürte einen matten Schmerz im Hinterkopf, als er sich Staub und Gras aus dem Haar wischte. »Au.« Er sah sich um. »Die Elefanten … sind sie … habe ich …«
»Du hast daneben geschossen. Sie sind einfach abgehauen«, sagte Bear und zeigte auf eine geschlossene Mauer von Gebüsch zweihundert Meter entfernt.
»Sie sind einfach verschwunden«, fügte Stewart hinzu. »Ohne einen Laut. Nicht ein einziger abgebrochener Zweig oder Ast.« Er schien sehr erfreut über seine Beobachtung und hatte das erleichterte Lächeln eines Mannes auf den Lippen, der einer unangenehmen Situation entkommen ist, ohne dabei seine Würde verloren zu haben.
Sie alle trugen diese Miene zur Schau, alle außer Bear, der Jack betrachtete, als wäre er ein Käfer unter Glas.
Den anderen hatte es Spaß
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