Die Tränen der Massai
schrecklich.« Er schüttelte den Kopf.
»Das ist wirklich ein guter Zeitpunkt, mir das mitzuteilen.«
»Was kann ich denn tun? Wir hatten Probleme mit dem Amt für regionale Entwicklung.«
»Regionale Entwicklung. Gibt es etwas, das Sie mir verschweigen?«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich meine, ist das noch eines Ihrer Spielchen mit James Onditi?«
»Wie meinen Sie das, Spielchen? Onditi hat keine Ahnung, dass ich der Mann vom Carnivore bin. Regen Sie sich nicht auf.«
Miss Githu wirkte nervös. Auf Malaikas Nicken griff sie nach ihrem Block und entschuldigte sich.
Als die Tür sich hinter ihr schloss, fuhr Malaika zu Jack herum. »Das ist Ihnen alles scheißegal, oder? Wissen Sie überhaupt, was hier los ist? Wir
brauchen
diese Transportmittel.«
»Immer mit der Ruhe! Ich finde schon einen Weg. Aber ich werde nicht vor Ihrem Freund kriechen. Beamte wie er sind auf der ganzen Welt gleich, und ich lasse mich nicht auf ihre kleinen Machtspielchen ein. Nicht für so ein billiges kleines Hilfsprojekt, um Himmels willen.«
»Das ist es also?« Sie hatte die Stimme gesenkt, aber die Unheil verkündende, zornige Schärfe war zurückgekehrt. »Das ist es also für Sie? Ein billiges kleines Projekt. Sie haben keine Ahnung, oder? Es gibt so viele kranke Menschen … Kinder mit Krankheiten, von denen ihr
Wazungu
keine Ahnung habt. Hakenwürmer, zum Beispiel. Was wissen Sie über Hakenwürmer, Mr. Morgan? Sie halten das Wachstum auf und verwandeln Kinder in … in Zombies. Eine Dosis von Tetrachloroäthylen kann das aufhalten. Mehr braucht man nicht. Es kostet etwa zehn Cents pro Dosis. Und … und Bindehautentzündung – sie kann die Augen schrecklich schädigen. Für ein paar Cents können wir auch da helfen. Wir können verhindern, dass Menschen blind werden.« Sie stand auf, machte einen Schritt aufs Fenster zu, aber dann fuhr sie herum. Ihre Augen blitzten. »Dieses eine Mal.« Sie holte tief Luft. »Dieses eine Mal habe ich genug Geld. Dieses eine Mal konnte ich mich gegen diesen … die Leute im Amt für regionale Entwicklung durchsetzen. Ich brauche nur noch die Transportmittel. Wir müssen zu diesen Menschen gelangen, und dann können wir mit den einfachsten Mitteln ihr ganzes Leben verändern.« Sie hatte den Blick auf Jack gerichtet, der sich weder regen noch etwas sagen konnte. »Die Kinder … Kinder, deren Familien nicht imstande sind, sie zu den Gesundheitszentren zu bringen. Kinder, deren Eltern bereits an dieser oder jener schrecklichen Krankheit gestorben sind. Die Aids-Kinder. Kinder, die bei ihren Großeltern im Dorf leben, einem Dorf, das schon zuvor arm war und sich jetzt auch noch um die Waisen kümmern muss.« Ihre Stimme war heiser geworden. »Sie verstehen das nicht. Sie in Ihren gemütlichen Hotels! Im Hilton oder wo immer sonst Sie an der Bar sitzen. Sie können es nicht verstehen.«
Abrupt hielt sie inne. Der Ausbruch hatte ihr Zornestränen in die Augen getrieben, die sie jetzt wegblinzelte. Sie holte tief Luft, stützte sich auf die Rückenlehne ihres Stuhls und sah ihn forschend an, suchte vielleicht nach einem Anzeichen von Verbindung, wenn schon nicht nach Verständnis. Sie schien keines zu finden, drehte ihm den Rücken zu, verschränkte die Arme und starrte aus dem Fenster. »Das war’s also«, sagte sie. »Wir können nicht weitermachen.«
»Wieso denn?«
»Ohne Transportmittel können wir unsere Gesundheitszentren nicht betreiben.«
»Nein, das geht nicht! Ich meine, es muss doch eine Möglichkeit geben.«
»Nun, Mr. Morgan, wenn es eine gibt, würde ich gerne mehr darüber wissen.«
»Lassen Sie mich nachdenken. Geben Sie mir ein paar Tage.«
Kapitel 9
Aus Peabodys Ostafrikaführer (5. Auflage):
Das Leben der Massai wird von Zeremonien bestimmt. Alle Zeremonien haben gewisse Züge gemeinsam, wie das rituelle Kopfrasieren, Körperschmuck, Singen, Tanzen und Festessen.
Die wichtigsten Zeremonien sind: Alamal Lengaipatta, die Vorbereitung für die Beschneidung eines Jungen, Emorata, die Bescheidungszeremonie, mit der ein Junge zum Krieger wird, Eunoto, der Übergang von Morahn oder Krieger zum Rang eines Ältesten, und Olngesherr, die Bestätigung als Ältester.
1941
Naisua zog die Stahlklinge über die Kopfhaut ihres Sohns. Eine Mischung von Milch und Wasser tropfte auf Seggis Schultern. Der junge Mann schien ruhig zu sein und sah aus, als schliefe er, aber Naisua wusste, dass er alles andere als ruhig war. Sie spürte, wie schwer es ihm fiel, sein Schicksal zu
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