Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
unterwegs sind. Wenn möglich solltet Ihr die italienischen Straßen meiden, vor allem die im Norden. Auf der Strecke Mailand Florenz scheint es weniger unruhig zuzugehen. Aber man kann gar nicht vorsichtig genug sein.
Die jüngsten Revolten in Genua sind noch nicht ganz vorbei. Seit man den Sohn des Papstes, Cesare Borgia, an die Spanier ausgeliefert hat und Julius II. nach und nach zurück an die Macht kommt, steht Genua im Mittelpunkt des Geschehens. Leider hat dieser Papst gar nichts für die Franzosen übrig, auch wenn er notgedrungen mit König Ludwig paktiert, um seinen Kirchenstaat zu retten.
Bitte vergesst nicht, Alix, dass Genua der ideale Tummelplatz für Spione aller Art geworden ist. Diese wunderschöne Stadt, die einmal den gesamten Mittelmeerhandel kontrolliert hat, tröstet sich nur schwer über ihre Niederlage hinweg. Franzosen, die dort waren, berichten, dass den Genuesern das Messer locker sitzt und dort reichlich Gift im Umlauf ist.
Abgesehen von diesen privaten Racheakten, die Angst und Schrecken verbreiten, haben die Kanonen Ludwigs XII. die Stadt erschüttert und vielen Menschen den Tod gebracht. Barrikaden wurden errichtet, Besitztümer eingezogen, Beamte wurden abgesetzt,
an allen Ecken und Ende glimmt der Widerstand – die Genueser haben das alles noch nicht vergessen. Aber die Stadt hat sich ergeben, und der Pontifex musste dem König gratulieren, obwohl ich mir sicher bin, dass er nur darüber nachdenkt, wie er ihn loswerden kann.
Was Venedig betrifft – zweifellos eine der schönsten Städte der Welt –, so solltet Ihr Euch dort nicht aufhalten. Alle Boten, die aus Venedig zurückkommen, bestätigen einhellig, dass die Macht der Venezianer den europäischen Herrschern mehr als verdächtig geworden ist.
Ihre Handelsbeziehungen zu den Türken, den Ägyptern und den nordafrikanischen Völkern sind eine Beleidigung für das Christentum und vor allem für den Papst – das habt Ihr ja bereits aus dem Mund Eure Onkels, Kardinal Jean de Villiers, gehört. Venedig ist ein unsicheres Pflaster, und in der ganzen Romagna herrschen Feuer und Schwert. Wagt Euch nur nicht in diese Gegend. Um noch einmal auf den Pontifex zurückzukommen, Venedig ist ihm mehr als verhasst. Ebenfalls auf Befehl Julius’ II. sind dort französische Truppen in Stellung gegangen.
Venedig erregt aber auch noch das Interesse anderer ausländischer Königreiche, wie zum Beispiel Österreich unter Kaiser Maximilian, der es über seine Tochter im Auge behält. Diese Margarete von Österreich kenne ich zufällig sehr gut. Sie wurde im Val de Loire zusammen mit mir von der Regentin Anne de Beaujeu erzogen und sollte den Thronfolger Karl VIII. ehelichen. Weil die Regentin ihren Bruder Karl aber mit der Herzogin Anne de Bretagne verheiraten wollte, wurde Margarete vom französischen Hof verjagt und zu ihrem Vater zurückgeschickt. Seither sind ihr alle Franzosen verhasst. Sie ist eine Frau mit sehr viel Einfluss, denkt daran, falls Ihr ihr eines Tages begegnen solltet.
Nun, in Rom schließlich herrscht aufgebrachte Stimmung. Seit dem Tod von Alexander Borgia und seit Julius II. seinen Platz eingenommen hat, ist der Vatikan nicht mehr, was er einmal war. Falls Ihr auf die Idee kommen solltet, nach Rom zu reisen und Jean de Villiers zu besuchen, hütet Euch vor den Soldaten des Pontifex. Der neue Papst ist eher ein Krieger als ein Kirchenmann.
Das also sind meine Ratschläge für Euch. Die Schlussfolgerung bedeutet, dass Euch in Italien außer Florenz lediglich Mailand und Neapel Zuflucht bieten können. In diesen Städten seid Ihr noch am ehesten in Sicherheit, weil dort schon von jeher Franzosen leben. Ihr könnt mir glauben, dass ich bestens unterrichtet bin, Alix.
Genießt dennoch Eure Reise und nutzt die Gelegenheit, um möglichst viel Gedankengut der italienischen Renaissance mit nach Hause zu bringen, von der man überall spricht.
François mausert sich übrigens immer mehr zum künftigen Herrscher, und Marguerite zieht ein missmutiges Gesicht, wenn ich von einem möglichen Ehemann für sie spreche.
Bis bald, liebe Alix
Eure Freundin Louise
Nachdem Alix also wie geplant ihre Reisevorbereitungen getroffen und Constance sich entschieden hatte, nach Florenz zurückzukehren, stand ihre Kutsche drei Wochen später vor dem Haus an der Place Foire-le-Roi bereit.
Alix war überglücklich, was sie allerdings vor Mathias zu verbergen suchte, der sie traurig ansah. Ach, wie gut kannte er dieses frohe Leuchten in ihren
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