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Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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vor dem großen Spiegel drehte und wendete, in dem sie die Gestalt eines jungen Mädchens sah, schien sie endlich zufrieden.
    »Große Güte, Madame, man könnte meinen, Ihr wärt erst zwanzig!«, bewunderte sie Catherine entzückt.
    »Genau das soll mein Besucher auch glauben«, antwortete Louise mit einem fröhlichen Lachen.
    »Die anderen fünfzehn Jahre sind wunderbar in Eurem offenen Haar versteckt, Madame.«
    »So ist es gut, Catherine. Ach, ich brauche noch mein Veilchenparfum! Es duftet sinnlich und diskret zugleich und passt deshalb sehr gut zu der frühen Stunde.«
    Das Zimmermädchen hatte bereits den zierlichen Glasflakon mit dem Lieblingsduft von Louise in der Hand. Die Comtesse betupfte sich damit den Hals und besprenkelte ihre Fingerspitzen, die der junge Herzog gleich an seine Lippen führen würde.
    Endlich war die Gräfin bereit und verließ sehr selbstbewusst und hoheitsvoll ihr Zimmer, durchquerte den großen Salon und begab sich zum Waffensaal. Als sie die Tür öffnete, die von einem Samtvorhang verdeckt war, stand der Herzog von Bourbon mit dem Rücken zu ihr. Während sie sich die Zeit nahm, ihn eine Weile zu mustern, drehte er sich zur Seite und betrachtete mit großem Interesse ein Schwert – ein schweres, altes, beinahe antikes Schwert mit silbergeschmiedetem Knauf – das neben den anderen Waffen an der weißen Steinmauer hing.
    Zum ersten Mal sah Louise das Profil ihres Cousins. Er hatte eine gerade Nase, eine strenge Stirn und ein markantes, eigenwilliges Kinn. Sein dichtes schwarzes Haar umrahmte eine große, kraftvolle Statur. Lieber Gott! Wie war ihre kleine, hässliche, ständig schwächelnde Cousine mit ihrer runzligen bräunlichen Haut und der krummen Nase, die sie von Louis XI. geerbt hatte, bloß zu diesem schönen Mann gekommen?
    Charles de Montpensier, Duc de Bourbon, drehte sich nach dem Geräusch um, das er hinter sich gehört hatte.
    »Monsieur le Duc, lieber Cousin, darf ich Euch ganz herzlich auf Schloss Amboise begrüßen, das mir der König von Frankreich zu meiner großen Ehre geschenkt hat?«
    »Dieses Schloss ist eines der schönsten im ganzen Loiretal«,
erwiderte der junge Herzog und machte eine tiefe Verbeugung vor Louise.
    Dabei hatte die Art, wie er die Gräfin mit seinem großen weißen Federhut begrüßte, nichts Unterwürfiges, Falsches oder Unnatürliches an sich. Er wirkte höflich und vielleicht ein wenig spöttisch. Als er Louise dann in die Augen sah, wussten sie beide eine Zeit lang nicht, was sie sagen sollten. Louise war so gebannt von seinem Anblick, dass ihr die Worte fehlten. Der Herzog war viel zu überrascht, als dass er seine offensichtliche Begeisterung verbergen konnte. Dennoch war es nicht Charles, der das Schweigen brach.
    »Ich wusste wirklich nicht, dass ich so einen verführerischen Cousin habe«, sagte Louise schließlich und reichte ihm die Hand.
    Er nahm ihre Finger und führte sie an seine schönen Lippen, wobei er die Anstandsgeste absichtlich ein wenig in die Länge zog.
    »Darf ich fragen, ob meine entzückten Augen die Mutter oder die Tochter vor sich sehen?«, fragte der junge Herzog galant.
    »Solltet Ihr mir die Ehre erweisen, einige Tage zu bleiben, Monsieur, kann ich Euch Marguerite vorstellen. Dann müsst Ihr entscheiden, welche Mutter und welche Tochter ist. Obwohl Ihr uns beide ja schon bei den Festlichkeiten von Plessis-lès-Tours und erst kürzlich in Blois gesehen habt.«
    Auf einmal wirkte er überrascht, sogar ein wenig verlegen, als er sich an den beharrlichen Blick von Louise erinnerte, den er damals kaum ertragen hatte – wohl vor allem, weil es ihm in Gegenwart seiner Gattin peinlich war.
    »Das stimmt«, räumte er ein, und jetzt war jede Verlegenheit wie weggewischt.
    »Was mich allerdings in keiner Weise daran hindert, meine Einladung zu wiederholen«, sagte Louise amüsiert.
    »Ich nehme sie an, Madame d’Angoulême!«, rief der Duc de
Bourbon so stürmisch, als handle es sich um die Aufforderung zu einem Duell.
    Louise lächelte und warf einen Blick auf die Waffe, die Charles’ Interesse geweckt hatte.
    »Wenn Ihr mir also den Gefallen tut, ein paar Tage mein Gast zu sein, lieber Cousin, tut Ihr mir sicher noch einen weiteren Gefallen und erzählt mir von den Mailänder Kriegen, die wir verloren haben.«
    »Ist das nicht ein etwas raues Thema für eine Frau?«
    Louise sah ihn scharf an. Mit einem Schlag war jede Gefühlsregung aus ihrem Blick verschwunden. Sie spürte, dass sie wieder auf den Boden der

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