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Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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Euch nicht vorstellen, wie sehr ich diesen Augenblick herbeigesehnt habe.«
    Nemours wollte antworten, wurde aber kurz von Morpheus aus dem Gleichgewicht gebracht.
    »Euer Pferd scheint nicht sehr zu leiden; es geht ganz brav.«
    Dann wandte er ihr sein Gesicht zu, und Marguerite konnte sein edles Profil sehen. Nemours hatte ein strenges Gesicht, aber seine goldbraunen Augen blickten warmherzig. Diesen Widerspruch pflegte Nemours gern, denn auch wenn der König seine
strategischen Methoden als Feldherr nicht mehr anzweifelte, weil sie sich stets als wirksam und klug erwiesen, zeigte sein Gebaren oft so viel Feingefühl und Wohlwollen, dass man ihn sogar »die Taube« nannte.
    »Ich fürchte, meine Abende in Mailand werden trostlos sein«, sagte er leise.
    Sie schmiegte sich noch enger an ihn und umarmte ihn, so fest sie konnte.
    Er hatte Helm und Harnisch abgenommen und trug noch kein Kettenhemd und keine Kettenhandschuhe. Trotzdem konnte er wegen der starren Rüstung Marguerites biegsamen, warmen Körper kaum spüren.
    »Werdet Ihr an mich denken?«, fragte er und trieb sein Pferd ein wenig an.
    »Ja, Gaston«, hauchte sie, »jeden Abend fliegen meine Gedanken zu Euch. Ich habe Euch ja versprochen zu schreiben.«
    »Dann will ich meine Gedanken den Euren entgegenschicken. Die heißen Mailänder Nächte bringen mir gewiss Glück, und wir werden siegen. Die Mailänder Hitze, die Begeisterung und der Einsatz unserer Armee, die Hoffnung auf den Sieg – alles will ich zu Euch schicken.«
    Er blickte wieder nach vorn und sagte:
    »Ach, Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie schön Mailand ist! Azurblauer Himmel und strahlend weißer Boden verschmelzen zu überwältigender Schönheit.«
    »Habt Ihr denn gar keine Angst?«, flüsterte das junge Mädchen.
    »Nicht solange mich Eure schönen grauen Augen begleiten, Marguerite. Das Glück wird mir hold sein. Ich muss nur an Eure leicht geöffneten Lippen denken, und schon wird mir leicht ums Herz.«
    Marguerite schwelgte vor Glückseligkeit, wurde aber sehr unsanft von Jean-Baptiste in die raue Wirklichkeit zurückgeholt.
    »Ich kann die Schmiede schon sehen. Ich hätte nicht gedacht, dass sie so nah ist.«
    »Wir lassen Euer Pferd hier«, meinte Madame de Chatillon, als sie aus ihrer Kutsche stieg. »Jean-Baptiste kann es in ein paar Tagen holen.«
    »Auf keinen Fall, Blanche!«, widersprach Marguerite. »Ich lasse Morpheus nicht hier.«
    »Ehe wir uns entscheiden, fragen wir doch erst mal den Schmied«, mischte sich Nemours in die Debatte ein.
    Madame de Chatillon hob ihren Rocksaum und folgte Jean-Baptiste entschlossenen Schrittes zum Eingang der Schmiede.
    Nemours nutzte die Gelegenheit und trat zu Marguerite, die sich willig in seine ausgebreiteten Arme fallen ließ. Ein köstliches Gefühl durchströmte sie, und sie bebte am ganzen Körper vor Leidenschaft.
    Gaston presste sie an sich und genoss ihren süßen Duft nach Zitrone und Zimt. Sanft berührte er ihr Gesicht mit seinen Lippen.
    Marguerite zitterte. Noch nie hatte sie diesen intimen Schritt gewagt. Aber es erschien ihr derart unausweichlich, dass sie dem Geschehen nichts entgegensetzen wollte.
    Von der gleichen Leidenschaft getrieben begegneten sich ihre Lippen, und sie küssten sich innig und wünschten, dieser Augenblick würde nie zu Ende gehen, als ihn das Geräusch eines galoppierenden Pferdes nach wenigen Sekunden zerstörte.
    Dann ging alles sehr schnell. François und Bonnivet kamen herangaloppiert. Gaston ließ seine Liebste widerwillig los. Beide wussten, dass ihr Schäferstündchen beendet war, noch ehe es richtig begonnen hatte. Wenn er aus Mailand zurückkam, konnten
sie sich vielleicht wiedersehen. Aber bis dahin dauerte es noch eine Ewigkeit!
    Wieder war Marguerite hin und her gerissen. Sie schwankte zwischen der Freude, ihren Bruder wiederzusehen, und dem Kummer darüber, dass ihr flüchtiges Glück mit Gaston so schnell vorüber war.
    Als er Nemours sah, kniff François die Augen zusammen, wie immer, wenn sein Gefolge wegen seiner Schelmenstreiche in Verlegenheit geriet.
    Marguerite wagte Gaston nicht anzusehen. Zum ersten Mal war ihr die Gegenwart ihres Bruders ein wenig peinlich. Trotzdem warf sie sich in seine Arme, ehe sie bemerkte, dass er in Begleitung von Bonnivet war. Sie sah ihn zwar, reagierte aber nicht.
    »Guillaume! Was macht Ihr hier mit meinem Bruder?«, rief sie, nunmehr verlegen wegen Nemours, der mit ansah, wie sich die beiden äußerst freundschaftlich begrüßten.
    »Habt Ihr

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