Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
zusammen nach Florenz, sobald es wärmer wird. Ich reise nämlich lieber im Frühjahr.«
Alix war nicht entgangen, dass François’ Augen beim Namen Constance aufleuchteten, aber Marguerite war viel zu sehr mit Nemours beschäftigt, dessen Lippen nicht mehr von ihr ließen, um etwas zu bemerken.
»Ja, François. Constance ist bei mir zu Hause. Sie würde sich
bestimmt sehr freuen, Euch zu sehen – sei es auch nur für wenige Stunden.«
Doch was sollten sie in dieser kurzen Zeit anfangen? Bestimmt würde sich Marguerite ohne Ende von Nemours küssen lassen, und François würde die schöne Constance etwas enger als es sich gehörte an sich drücken, wenn sie ihn nicht ohnehin gleich in ein Zimmer zog, um sich mit ihm einem kurzen Vergnügen hinzugeben, zu dem sie den jungen Duc d’Angoulême wohl nicht lange überreden musste.
Und vermutlich taten es ihnen Marguerite und Nemours so ganz ohne Anstandsdame bald nach.
Meine liebe Louise, bedauerlicher Weise habe ich keine Zeit, zu Euch an die Loire zu kommen und den Aufbruch des Königs mitzufeiern – so gerne ich das auch täte. Leider habe ich viel zu viel Arbeit. Wir müssen die Teppiche für den König unbedingt so schnell wie möglich fertigstellen, und auch die für Euch sollten endlich fertig werden. Wahrscheinlich bekomme ich einen neuen großen Auftrag, aber davon will ich Euch später mehr erzählen.
Stellt Euch vor, Louise, ich habe Marguerite und François gesehen. Sie haben mich in meiner Werkstatt besucht, und ich wusste, dass Ihr nicht informiert wart. Sie versprachen mir aber, es Euch zu beichten, sobald sie zurück in Amboise wären. Marguerite war mit dem jungen Nemours hier. Warum dürfen sich die beiden nicht lieben? Sie strahlten nur so vor Glück! Ach, Louise, wir haben nicht das Recht, solch eine große Liebe aus irgendwelchen politischen Gründen zu zerstören. Frankreich ist eine Sache, und die Liebe zwischen diesen beiden jungen Menschen eine andere! Wie kann das Königreich verlangen, dass Nemours eine andere junge Frau heiratet und Marguerite mit
einem Mann vermählen, den sie nicht liebt? Ich weiß schon, was Ihr mir antworten werdet: Das sei nun mal in Frankreich das Schicksal jeder Person von Rang, und auch Euer schöner, junger Duc de Montpensier müsse früher oder später wieder aus Eurem Leben verschwinden, weil ihn seine Pflichten für das Königreich dazu zwingen. Genießt die Zeit, die Euch bleibt, in vollen Zügen, Louise! Ich wünsche Euch von ganzem Herzen, dass sie so lange wie möglich dauern und Euch die Ängste vergessen machen möge, die Euch wegen der Schwangerschaft der Königin quälen. Ich kann nur immer wiederholen, dass es keinen anderen Dauphin als Euren François geben wird, Louise. Ich weiß nicht, was Königin Anne widerfährt, aber François besteigt eines Tages den Thron. Das verspreche ich Euch!
Um auf Eure freundliche Einladung zurückzukommen – nachdem ich meine Florenzreise auf das Frühjahr verschoben habe, kann ich Euch diesen Winter in Amboise besuchen. Dann will ich Euch auch von meinem neuen großen Auftrag berichten – und vielleicht noch von anderen, die ich aus Italien zu bekommen hoffe. Ich entdecke gerade voller Begeisterung die italienische Renaissance, die uns alle in ihren Bann zieht. Ich bin sicher, dass auch Ihr von den neuen Teppichen hingerissen sein werdet, die wir weben wollen, Louise.
Ich umarme Euch und bleibe immer Eure
Alix
13.
Mittlerweile war es drei Monate her, dass der König in den Krieg gezogen war. Regelmäßig erstattete er der Königin Bericht, während es an der Loire immer herbstlicher wurde und morgens der erste Reif den Boden bedeckte.
In den Werkstätten von Alix hatte man den Trojanischen Krieg endlich fertiggestellt, und die sechs großen Teppiche warteten nur noch auf die Rückkehr Ludwigs XII. Sobald der König aus Italien zurückkam, wollte Alix ihre Kutsche anspannen lassen und Leo bitten, sie an den Hof nach Blois zu fahren, um ihre Arbeit abzuliefern.
Der Trojanische Krieg war ein großes Kriegsgemälde, das zum Teil ihr Freund, der flämische Maler Van Orley, gezeichnet hatte, mit Pferden und Rittern mit Federhelmen, Schildern, Schwertern und Lanzen, Fahnen und Wimpeln im Kampf. Auf dem ersten Teppich war die Ankunft der Truppen in aller Pracht zu sehen. Auf dem letzten reitet Ludwig XII. siegreich unter wehenden Bannern und Trompetenklängen ein, die übrigen zeigen blutige Kampfszenen.
Alix hatte als Hintergrund für die Schlachtenbilder
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