Die Traenen Des Drachen
pflügte, wie ein dicker Maulwurf durch einen überschwemmten Gang nach oben.
»Gamle!« Volom-Kar setzte seinen spitzen Hut auf und rannte ihm nach.
»Ohh!«, sagte Gamle und stapfte durch den lockeren Schnee. »Nimm die Zapfen mit. Ich muss die Zukunft deuten!«
Volom-Kar schnappte sich das Leinensäckchen mit den sprechenden Zapfen. Dann schob er sich durch die Hüttenöffnung und kletterte die verschneiten Stufen empor. Da sah er, dass der Schnee gut einen Fuß höher war als die Hütte selbst. Gamle kämpfte sich bereits den kleinen Hügel hoch. Er watete bis zum Bauch durch den Schnee, während er mit schriller Stimme zu den Baumwipfeln emporschrie. Volom-Kar rannte ihm nach und ließ ihn sich auf seiner Schulter aufstützen.
»Es eilt«, zischte Gamle. Sein Gesicht war ganz rot, und er drückte seine Hand auf den Bauch. »Verfluchter Pilz-Schmerz! Wenn ich doch nicht so viel gegessen hätte…«
Volom-Kar half Gamle bis zu der Stelle hoch, an der er gut zwei Waldgeisterlängen unter sich die Feuerstelle vermutete. Von dort hatten sie eine gute Aussicht, und der Häuptling sank in den Schnee und begann, in den Himmel zu starren.
»Wirf die Zapfen, Volom. Ich muss den Traum deuten. Jetzt!«
Volom-Kar öffnete das Säckchen, nahm die Zapfen in die Hand und ließ sie in den Schnee fallen.
Gamle starrte noch immer in den Himmel.
»Ich habe Steine gesehen, wo Hässlinge wie die Käfer gelebt haben…«
»Vier Zapfen beieinander, der fünfte ein wenig abseits«, murmelte Volom-Kar.
»Vögel… Raben! Doch einer von ihnen kann noch nicht fliegen!«
»Hier sehe ich ein Zeichen für Güte!« Volom-Kar drückte die Zapfen in den Schnee, grub sie wieder aus und warf sie erneut. »Sie zeigen auf den fünften. Der fünfte soll ein Geschenk bekommen!«
»Es sind die Raben, die ihm dieses Geschenk gegeben haben. Einer von ihnen ist sein Bruder. Der Bruder des Raben, wie im Traum! Ja, jetzt erinnere ich mich. Loke hat ihn gefunden, und der Bruder des Raben begleitet sie. Das ist gut. Das gibt mir Hoffnung. Aber…«
Gamle schloss die Augen und raufte sich den Bart. Da erblickte Volom-Kar etwas Schwarzes auf einem Ast am Rande der Lichtung. Er ließ die Zapfen liegen. Es war ein Rabe. Er drehte sich um. Auf allen Zweigen saßen Raben, und über ihm… Er blickte nach oben. Ein ganzes Heer von ihnen!
»Gamle!« Volom-Kar packte die Schulter des Häuptlings, der sich jedoch weigerte, die Augen zu öffnen.
»Hitze«, flüsterte er, »Feuer… Feuer… Sie stehen auf einem Feuer! Man will sie verbrennen!«
Er rang nach Atem und schluckte, bevor er die Augen öffnete und auf die Raben zeigte.
»Ja, es stimmt! Alles stimmt!«
Gamle riss sich den Hut vom Kopf und hob seine Arme hoch. Die Raben flogen von den Ästen auf und begannen, über ihnen zu kreisen.
Gamle öffnete den Mund und sprach in ihrer eigenen Sprache mit ihnen, und die Raben antworteten. Sie flatterten durch die Schneeflocken und verfinsterten den Himmel und verschwanden in einem Sog hinter den Baumwipfeln, der alles andere verstummen ließ.
»Ojojoj«, sagte Gamle und brach zusammen. Sein Gesicht war beinahe so weiß wie sein Bart. »Hoffentlich schaffen sie es.« Er fasste sich an den Bauch und schluckte. »Hilf mir, Volom. Der Pilz-Schmerz sticht. Ich will wieder in die Hütte zurück!«
Volom-Kar begriff nicht ganz, was geschehen war, ahnte aber, dass es wichtig war. Er legte seinen Arm um Gamle und stützte ihn. Jetzt spürte er, wie dünn der Häuptling geworden war. Seine Schultern waren mager, und er konnte seine Wirbelsäule durch die Kleider spüren. Nur der Bauch war wie früher, aufgeblasen und breit von zu viel Essen. Wenn er nur nicht so dickköpfig wäre und wenigstens ein bisschen Kräutersuppe und Fichtennadelwasser trinken würde. Volom-Kar umklammerte Gamles Hüfte und half ihm den Hügel hinunter. Ihre Spuren waren bereits wieder im Schnee versunken.
Die Verwandlung
D ie Flammen fraßen sich durch die Äste empor. Karain spürte den Qualm in den Augen, und wenn er die Lider schloss, rannen Tränen über seine Wangen. Er zerrte an seinen Fesseln und schnürte damit den Waldgeistern nur noch mehr die Luft ab. Das Mädchen, sie hatte nackte Beine, begann zu schreien.
Er schob seine Beine zu ihr hinüber und trat ihr gegen die Waden.
»Hier! Stell dich auf meine Stiefel!«
Sie sah ihn mit weit aufgerissenen, tränennassen Augen durch den Rauch an. Karain spürte ihr Gewicht auf seinen Stiefelspitzen. Unter ihm begann der
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