Die Traenen Des Drachen
Scheiterhaufen zu knacken. Durch das Knistern der Flammen und das Geschrei der Menschen hörte er die Waldgeister singen. Die gleichen Worte, wieder und wieder, wie ein Gebet. Es wird nicht lange dauern, dachte er, als die Flammen an seinen Beinen emporleckten.
Es geschah so rasch. Karain konnte nie richtig erklären, was mit ihm passierte. Er hörte Flügelschläge, viele Flügelschläge. Er sah schwarze Gestalten wie fallende Sterne vom Himmel durch den Rauch nach unten stürzen. Das Tau löste sich, und Krallen kratzten an seinen Schultern und Händen. Dann wurde er vom Feuer emporgehoben und schwebte aus den Flammen hinaus. Neben sich sah er die Waldgeister, die wie Fische in den Krallen der Raben hingen, die in einem Schwarm um sie herumflogen. Auch das Mädchen wurde auf gleiche Weise getragen, und jetzt schmerzten seine Arme wie niemals zuvor. Die Raben flogen mit ihm hoch über das Feuer, während die Schaulustigen aus Furcht vor dem Angriff des größten Vogelschwarms, den sie je zu Gesicht bekommen hatten, eilig das Weite suchten. Es waren Möwen, Falken, Stare und kleinere Vögel. Ja sogar Hühner und Gänse kamen schnatternd über die Straße gewatschelt, um bei dem Angriff mitzuwirken. In ihrer Panik hatten die Kretter den Wagen, auf dem das Mädchen zum Scheiterhaufen gebracht worden war, stehen lassen. Die Raben setzten Karain und die Waldgeister darauf ab.
»Schon wieder ein Wagen«, sagte Vile, als Karain auf den Kutschbock kletterte. »Wo soll das nur enden?«
Nur weg hier, dachte Karain und trieb das Pferd an. Es wieherte und bäumte sich im Zaumzeug auf, bevor es davongaloppierte, sodass die Waldgeister wild durcheinander purzelten. Karain verwendete die Zügel am ehesten, um sich daran festzuhalten, denn das Pferd schien den Weg aus der Stadt hinaus zu kennen. Der Wagen schoss an Buden und nach ihm greifenden Händen vorbei und holperte dann in einer kleinen Gasse über einen Stapel mit Früchten. Schließlich kamen sie auf einen lehmigen Weg, auf dem ein Mann versuchte, das Zaumzeug zu packen. Seine Schreie erstickten im Matsch, als die Räder über ihn hinwegrollten. Dann führte ihr Weg an einem Platz mit Zelten vorbei, bis sie schließlich die Stadt hinter sich gelassen und Gras unter den Rädern hatten.
»Das ist die falsche Richtung, Karain!« Loke kletterte an seine Seite. »Dreh um!« Er zeigte über den Kopf des Pferdes, wo die Landschaft direkt in den Himmel überging.
Karain wurde sich plötzlich bewusst, dass er nie zuvor einen Wagen gelenkt hatte. Er war nicht einmal geritten. Aber er erinnerte sich an einen Sommer, als er noch ein kleiner Junge gewesen war und ihn ein Fonorer auf seinem Pferd hatte sitzen lassen. Was hatte er noch gesagt? Was hatte der Krieger mit dem Panzerhemd gesagt, um die Richtung zu ändern?
»Tu was!« Loke saß rittlings auf dem Bock, und sein Bart flatterte im Wind.
Karain riss an den Zügeln, aber das Pferd galoppierte weiter. Die Steilküste kam ihnen rasend schnell entgegen. Er schloss die Augen und versuchte sich daran zu erinnern, was der Fonorer gesagt hatte. »Zieh an den Zügeln«, hatte er gesagt. »Rechter Zügel, linker Zügel…« Der Fonorer hatte Handschuhe mit Bronzenägeln getragen, in denen die aus rotem Leder geflochtenen Zügel wie dünne Schnürchen ausgesehen hatten. »Nach links, Junge, weißt du, wo links ist?«
Karain zog so fest er nur konnte mit seinem linken Arm, und das Pferd brach zur Seite aus. Loke verschwand nach hinten und schlug auf dem Karren auf, als der Wagen in der Kurve auf zwei Räder kippte. Mit einem lauten Knacken kippte er wieder zurück und raste weiter an der Steilküste entlang. Karain klemmte seine Beine unter den Bock und straffte die Zügel. Vor ihnen war der Boden so weit er sehen konnte eben und flach. Er trieb das Pferd an, und bald waren sie an der Stadt vorbei.
Schließlich erreichte der Wagen die Anhöhe, die Krett umgibt. Von hier aus konnte er die Straßen gut überblicken. Die Vögel segelten über der Stadt wie ein Bienenschwarm über einem Topf Honig. Unmittelbar neben der Richtstätte hatte ein Haus Feuer gefangen, und die Kretter rannten mit Eimern und Wasserschläuchen wild hin und her. Im Süden trabte ein führerloser Ochsenkarren aus der Stadt.
Karain ließ das Pferd mit lockeren Zügeln laufen. Nach einer Weile gelang es Loke wieder, neben ihn zu krabbeln.
»Gut.« Der Waldgeist setzte sich vorsichtig auf den Bock. »Jetzt immer geradeaus, dann kommen wir dorthin, wo die
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