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Die Traenen Des Drachen

Titel: Die Traenen Des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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Stimme.
    Karain wusste noch, wie sie ihn in der Schlucht im Westwald mit Speeren und Fackeln gerettet hatten. Doch jetzt hatten sie nichts anderes als zerbrochene Bretter.
     
    An diesem Tag machten sie keine Rast. Die Vokker folgten ihnen immer im gleichen Abstand. Auch wenn sie sich noch so beeilten, wurde der Abstand zu den Riesen nicht größer, aber sie kamen auch nicht näher.
    »Sie warten, bis es dunkel wird«, sagte Kirgit.
    Bul meinte, es sei feige, vor diesen Erdriesen-Vettern davonzulaufen. Dreimal musste Loke ihn an seinem Umhang fortzerren, damit er nicht stehen blieb und auf sie wartete.
    »Wenn es uns gelingt, wach zu bleiben, werden sie uns nicht angreifen«, sagte Kirgit, als sie den Schnee wegschaufelten und ihr Lager aufschlugen. »Wenn wir ein großes Feuer machen und uns mit den Rücken zu den Flammen setzen, werden sie sich außerhalb des Feuerscheins halten.« Sie taten, was sie gesagt hatte, und Karain wunderte sich, wo sie all das gelernt hatte. Sie schien nicht einmal Angst zu haben, ebenso wenig wie die Waldgeister. Zitterte nur er so sehr, dass es unmöglich war, zu erkennen, ob das vor Furcht oder Kälte war?
    Kirgit setzte sich auch in dieser Nacht zu ihm.
    Als er glaubte, sie sei eingeschlafen, hielt er sich seine Hand vor die Augen. Die drei Finger, jetzt von Federn bedeckt, sahen wirklich aus wie die Kralle eines Vogels.
    »Ich bin hässlich«, sagte er und ballte die Finger zu einer Faust. Er wollte das einfach ausgesprochen haben, und wenn es nur für sich selbst war.
    »Nein.« Sie schaute auf und fuhr mit der Hand über die Federn auf seiner Wange. »Du bist anders.«
    Mehr sagte sie in dieser Nacht nicht, doch für Karain war es genug. Niemand hatte je so etwas zu ihm gesagt. Daran musste er denken, als er zu den Sternen emporschaute, während der Vollmond auf das Eisland herabschien und die verschneiten Hügel in blaues Licht hüllte.
     
    Als sie erwachten, waren die Vokker näher gekommen. Sie standen nur einen Steinwurf vom Lager entfernt und warteten. Es hatte wieder begonnen zu schneien, und die Riesen zeichneten sich bedrohlich in dem grauen Wetter ab.
    Sie gingen weiter. Der siebte Tag. Das Holz würde bald verbraucht sein. Es war aufwendig gewesen, die ganze Nacht über den Feuerschein so kräftig aufrechtzuerhalten. Jeder von ihnen hatte nur noch zwei Bretterstücke. Und jetzt fror er.
    Sie waren noch drei Tage entfernt, wenn er richtig gerechnet hatte. Der Hunger zehrte an ihm, machte ihn schwach. Er fühlte seinen Magen nicht mehr, nur die Muskeln unter den Rippen, die gegen die Wirbelsäule drückten. Er wusste, dass sie jetzt langsamer gingen. Er konnte das an Kirgit erkennen. Ihr Rücken war gebeugt, und sie sah so klein aus. Nur ab und zu schaute sie zu ihm auf – und lächelte. Ihr Gesicht war müde. Sie tätschelte das Pferd. Auch das Tier ließ den Kopf hängen.
     
    Nur die Waldgeister verhielten sich wie zuvor. Bul stritt sich mit Loke, denn der Schüler wollte umdrehen und sich den Vokkern stellen. Vile und Bile summten und sangen beim Laufen, als verschwendeten sie nicht einen Gedanken an die Unwesen, die sie verfolgten. Und Loke war nur davon besessen, weiterzukommen. Die Trolljäger gingen jetzt voraus, wateten mit einer Kraft durch den Schnee, die selbst einen Bären hätte neidisch werden lassen. Der Atem stand ihnen wie Dampf vor den Nasenlöchern, während Eiszapfen aus ihren Bärten herabhingen.
     
    »Heute Nacht werden sie angreifen«, sagte Kirgit, als sie das Lager aufschlugen. »Das Schneetreiben verbirgt sie, sodass sie sich anschleichen können.«
    »Aber warum müssen sie schleichen?« Bile schaufelte den letzten Schnee weg, sodass Schildmann genügend Platz hatte. »Erdriesen schleichen nie. Die sind so groß, dass alle vor ihnen Angst haben, nur wir natürlich nicht.«
    »Nein, wir nicht«, sagte Bul und verschränkte die Arme vor der Brust.
    Karain legte die Holzstücke zur Seite und dachte, dass es ihm bald egal war, ob die Vokker ihn fraßen. Dieser Tag war schlimmer gewesen, als er es sich hatte vorstellen können. Der Hunger war zu einer Erschöpfung herangewachsen, die ihn bis zur letzten Pore erfüllte. Wie durch einen Nebel sah er Loke die Flintsteine gegeneinander schlagen. Er spürte Kirgit an seiner Seite, als die Flammen das Holz gelb färbten, und wollte nur noch schlafen.
     
    »Karain! Du musst aufwachen!«
    Karain hörte die Worte, doch sein Körper wollte sich nicht bewegen. Der Schlaf hatte derart von ihm Besitz

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