Die Tränen des Herren (German Edition)
Ketzerei, wie man sie seit den Katharern nicht mehr gehört hat!“
„Das ist absoluter Unsinn! Altweibergeschwätz!“
„Altweibergeschwätz?! Vierhundert Brüder bisher haben unter Tränen der Reue bekannt!“
Nogaret lehnte sich zurück und weidete sich daran, wie Molays stolzes Wesen zu einem erschrockenen, verwirrten Häuflein zusammenschmolz.
„Ja, Meister des Tempels, deine edlen Brüder haben fast alle gestanden!“ warf er seinem Gegenüber in Gedanken an den Kopf. „Wenn auch nicht immer ganz freiwillig... Und du wirst ebenso gestehen, wenn dich Inquisitor Imbert dann befragt, dafür werde ich schon sorgen!“
In einem schwachen Versuch, wieder Boden unter den Füssen zu gewinnen, sagte Jaques de Molay: „Sie haben gelogen. Dafür sollen sie aus dem Orden ausgestoßen werden!“
„Sie haben um das Heil ihrer Seele willen gestanden! Nun, da sie sich in der sicheren Obhut seiner Majestät befanden, wagten sie zu offenbaren, wozu man sie bei ihrer Profess verpflichtet hatte! Das Kreuz anzuspucken und Christus zu verleugnen, die Sodomie zu treiben und Götzen anzubeten!“
„Nichts davon ist wahr!“
Guillaume de Nogaret lächelte mitleidig.
„Ich zweifle nicht an Eurer Aufrichtigkeit, Sire de Molay. Aber... konntet Ihr alles wissen, was in den einzelnen Häusern Eures Ordens vor sich ging?“
„Ich verbürge mich für meine Brüder!“
„Die heilige Inquisition hat sie für schuldig schwerer Verbrechen befunden!“
„Darüber kann nur der Papst entscheiden!“
Guillaume de Nogaret stimmte zu, in die Rolle des helfenden Beraters schlüpfend: „Aber Seine Heiligkeit Clemens wird den Orden der Templer hiernach...“ Er klopfte auf den Stapel der vor ihm liegenden Geständnisse, „zweifellos aufheben, und dies umso sicherer, wenn der Meister hartnäckig an seinen Irrtümern festhält.“
„Was für Irrtümer?“ fuhr Jacques de Molay dazwischen, aber Nogaret überging die Frage und sprach in leisem, beschwörendem Ton: „Ich sage Euch, Sire, die einzige Möglichkeit, den Orden zu retten - und das wollt Ihr doch, oder? - ist, dass Ihr bekennt! Geht, legt ein vollständiges Geständnis ab und lasst Euch rekonziliarisieren! Dann wird der Papst an Euren Willen zu Besserung und Reform glauben und den Orden nicht aufheben!“
„Wie kann ich das? Wie kann ich eine solch abscheuliche Verleumdung mit meinem Eid bestätigen?“
Guillaume de Nogaret legte dem Meister vertraulich die Hand auf die Schulter.
„Wollt Ihr den Orden retten oder nicht? Dann befolgt meinen Rat! Zögert nicht! Ich meine es gut mit Euch! Es ist nur eine Formalität, nichts weiter…“
Inquisitor Imbert sah dem Verhör des Meisters in gesammelter Ruhe entgegen. Er hatte es sich persönlich vorbehalten und lang um die Gnade gefleht, Gott möge Jacques de Molay ohne Folter zum Bekenntnis bewegen. Aber sollte es nicht so sein… Das Herz des Inquisitors war von aufrichtiger Liebe für die Menschen erfüllt. Und gerade diese Liebe war es, um deretwillen er die Folter befahl.
Denn was bedeuteten die Qualen des Körpers im Vergleich zu den Leiden einer Seele in den Fängen des Teufels?
Jahrelange Erfahrung ließ Imbert sofort die Unsicherheit und Angst erkennen, die Jaques de Molay zu verbergen suchte. Der Inquisitor atmete auf. Normalerweise versprach dieses Verhalten ein rasches und unkompliziertes Geständnis. Er begann mit der Verlesung der Anklagepunkte, dann ließ er den Meister auf die Evangelien schwören. Nach einer Erinnerung an das Jüngste Gericht stellte er die erste Frage: „Wann seid Ihr in den Orden aufgenommen worden?“
„Es ist 42 Jahre her, dass man mir in der Komturei von Beaune den weißen Mantel verliehen hat.“
„Wer hat Euch aufgenommen?“
„Bruder Humbert de Pairaud. Und viele andere Brüder waren anwesend, die unterdessen gestorben sind. Auch der edle Ritter Amaury de la Roche, ein Freund unseres verehrten König Louis, war da...“
Guillaume Imbert übersah den etwas seltsamen Fakt der Anwesenheit des Freundes eines heiliggesprochenen Königs bei einer so schändlichen Zeremonie, wie die Aufnahme in den Templerorden es sein sollte.
„Wie seid Ihr aufgenommen worden?“
„Man hat mir die Statuten und die Regeln für das Leben im Konvent vorgelesen. Ich legte die Profess ab, und dann gab man mir den Mantel.“
„Danach hat man Euch ein Kreuz gezeigt und Euch aufgefordert, unseren Erlöser Jesus Christus zu verleugnen und dreimal auf das Kreuz zu spucken?“
Jacques de Molay
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