Die Tränen des Herren (German Edition)
deutete in die westliche Richtung. „Folge mir, aber langsam und unauffällig!“
Er sammelte seine Werkzeuge auf und verschwand in der Tür des angrenzenden Hauses. Kurz darauf nahm Bruder Louis denselben Weg. Er fand sich in dem überladenen Arbeitsraum eines Holzschnitzers wieder. Hinter einer halbfertigen Figur der Heiligen Jungfrau verbarg sich eine verhangene Türöffnung. Louis vergewisserte sich, dass sein Dolch griffbereit war, dann schob er den Vorhang zurück. Im nächsten Moment legte sich eine Hand auf seinen Mund, er wurde an den Armen gepackt, auf die Knie gestoßen. Kerzenlicht blendete ihn.
„Lasst ihn los! Ich kenne ihn. Es ist Louis, einer von den Ritterbrüdern!“
Die Kerze entfernte sich, und dahinter formte sich ein rundes Gesicht mit buschigen Brauen. Der Ingenieur der Komturei von Etampes.
„Entschuldigt den rauen Empfang, Sire. Aber wir müssen vorsichtig sein. Überall treiben sich Spitzel der Inquisition herum!“
Louis stand auf, ein erleichtertes Lächeln auf den Lippen. „Ranulf! Gott sei gelobt! Wie viele seid ihr?“
„Vier“, antwortete der Ingenieur.
„Jedenfalls hier in der Stadt, soviel ich weiß. Ich hatte Glück. Als die königlichen Söldner die Komturei besetzten, war ich hier bei meinem Onkel, dem Schnitzer. Ihn“, er zeigte auf den Steinmetz, “traf ich am nächsten Morgen. Er kommt aus dem Haus von Chalou. Und dann noch zwei Arbeiter von den Landgütern. - Aber Euch habe ich in Ketten gesehen, Sire. Wie kommt es, dass Ihr hier seid?“
Misstrauen schwang in seiner Stimme mit. War Louis um den Preis seiner Freiheit zum Handlanger der Inquisition geworden?
„Ich konnte fliehen. Aber die Leute des Grafen sind hinter mir her. Ich...“ Ein Geräusch unterbrach Louis. Er fuhr herum und erstarrte. Selbst in dem schwachen Licht leuchtete die blaue Kutte des Ankömmlings. Einen Augenblick zu spät zuckte Louis Hand zu seinem Dolch. Der Blaugewandete warf sich auf ihn.
„Guy, er ist einer von uns!“
Verwundert hörte Louis, dass Ranulf seinen Angreifer kannte.
„Ein Templer?“ zweifelte der Mann in der blauen Kutte und musterte Louis. „Ja. Bruder Louis, aus unserer Komturei.“
„Aber ich habe ihn zusammen gesehen mit dieser Inquisitorenratte, die ich heute Nachmittag erwischt habe!“
Louis überkam eine böse Ahnung. Inquisitorenratte?!
„Trug der Mann, von dem du redest, eine schwarze Mönchskutte?“
„Da seht ihr es! Er weiß genau, wovon ich rede! Haltet ihn fest!“
„Nein!“ wehrte Louis ab. „Hört mir zu...“
Jocelin erwachte. Noch undeutlich gewahrte er eine Bretterwand über sich. Langsam stützte er sich hoch. Es war hell, also noch Tag. Oder schon wieder? Wie viel Zeit war vergangen? Und wo war er? Die Decke des Raumes war so niedrig, dass er sich nicht völlig aufrichten konnte. Wie sie bestanden auch die Wände aus Holzbrettern. Nur der Teil, an dem er lehnte, war aus Stein. In einer Ecke lagerte Reisig. Nun, zumindest war das nicht der Kerker der Komturei, und wohl auch nicht das Gefängnis der Stadt. Jocelin griff an seine Seite. Das Schwert hatten sie ihm abgenommen, natürlich. Kurz zog er in Erwägung, dass es vielleicht gar nicht Häscher der Inquisition waren, die ihn überfallen hatten. Doch nein, gewöhnliche Räuber hätten sich nicht die Mühe gemacht, ihn einzusperren! Von draußen klang Wasserplätschern und das eigentümliche Knirschen nassen Holzes. Ah, ja, er war an einer Wassermühle gewesen. Auf den Knien rutschend untersuchte er Boden und Wände seines Gefängnisses. Die Bretter waren dicht und fest aneinandergefügt. Über der Mauer entdeckte er schließlich einen Ritz, der eine Luke verriet.
Er atmete tief ein, um die Schmerzen in seinem Kopf zu verdrängen und stemmte sich dagegen. Die Klappe bewegte sich nicht. Nach dem vierten Versuch gab er erschöpft auf. Es musste einen anderen Ausweg geben. ..
Plötzlich hörte er Schritte und ein schleifendes Geräusch. Eilig zog er sich in die Ecke hinter das Reisig zurück, bereit, sich auf den ersten, der sich näherte, zu stürzen.
Die Luke wurde aufgerissen. Ein Paar Beine streckten sich hinunter, dann erschien ein wohlbekannter blonder Haarschopf.
„Mein Gott, Louis! Sie haben auch Louis!“
Doch sein Ordensbruder stieg nicht hinab, sondern streckte ihm die Hand entgegen.
Kurz darauf machte er die Bekanntschaft der vier Ordensbrüder. Guy, der Landarbeiter in blauer Kutte, überreichte ihm sein Schwert.
„Ihr seid also der Bruder aus Provins! Ich
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