Die Tränen des Herren (German Edition)
wir auch. Wir brauchen Euch!“
Der Fremde sah auf die Hand, die Jocelin ihm entgegenstreckte. Zögerte.
„Wie nennt man Euch, Bruder?”
„Jean. Jean de Saint-Florent.”
„Für den Tempel, Bruder Jean! Wir brauchen Euch und die anderen! Kommt mit uns!“
„Für den Tempel.” Er schlug ein.
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Das Antlitz des Königs war so unbeweglich wie die steinernen Statuen am Portal der Kathedrale, auf die er blickte. Philipp wartete. Am Tag zuvor hatte Papst Clemens die Mitglieder seiner Untersuchungskommission berufen, trotz der Entscheidung der Prälaten auf dem Ständetag.
Den Meister und die übrigen Würdenträger wollte er selbst verhören. Und fünf Kardinäle hatten den Auftrag erhalten, sich mit Templern aus allen Teilen Frankreichs zu befassen. Stephanus war darunter, der ehemalige Siegelbewahrer des Königs, und die Brüder Landulf und Petrus Colonna, die sich ebenfalls dem französischen Hof verpflichtet wussten. Doch wieweit würde ihre Loyalität reichen?
Könige vergingen, die heilige Mutter Kirche blieb...
Kaum war ihm das Dekret des Papstes mitgeteilt worden, hatte Philipp Nogaret zu Verhandlungen zu Clemens geschickt. Und nun wartete seine Majestät.
Papst Clemens hatte einen kühnen Zug getan, aber das Spiel war noch keinesfalls entschieden! Plötzlich kam Bewegung in die Pferde. Seine Majestät sah, wie Guillaume de Nogaret die Stufen der Kirche hinunter schritt. Aus seiner Haltung war nichts abzulesen, aber Philipp wusste, dass er nicht kommen würde, ohne erreicht zu haben, was er wollte.
Wenig später stand der Siegelbewahrer vor ihm. Mit einer leichten Verbeugung reichte er Philipp eine Pergamentrolle.
„Es ist die Kopie einer päpstlichen Verfügung, Euer Majestät.“
Ohne eine Regung zu zeigen las der König die nochmalige Beschwerde Clemens‘ V., dass man ihn vor der Verhaftung der Templer einfach übergangen habe, dass der Großinquisitor ihn auch danach über nichts informiert habe. Der Papst benutzte scharfe Worte, doch dies war nur die Wut eines schon geschlagenen und gefangenen Löwen. Denn am Ende des Erlasses prangte deutlich das Ergebnis der Verhandlungen: „Da Wir wissen, dass du mit gutem Willen gehandelt hast, geliebter Bruder“, schrieb Clemens an Inquisitor Imbert“, verleihen Wir dir und deinen Brüdern, und allen, die im Amt des Heiligen Offiziums tätig sind, alle früheren Rechte und Privilegien im Kampf gegen die Häresie...”
Philipp fühlte Wärme durch seine Glieder strömen. Die Suspension der Inquisition war aufgehoben! „Kehren wir nach Paris zurück, Guillaume!“
Unlustig warf Ghislaine ihre Stickerei zur Seite und stieg die Treppe zum Hof hinab. Dort schlug Yvo in verbissenem Eifer auf eine Strohpuppe ein. Er war noch immer wütend auf Jocelin. Aber wenigstens brachte ihn der Zorn dazu, fleißig zu üben. Und er trieb sich nicht mehr herum und stahl...
Hufschläge hallten von den Mauern wider. Ghislaine sah einen Reiter im blauen, liliengeschmückten Wams und mit dem königlichen Banner durch das Tor kommen. Diensteifrig eilte ihm ein Knecht entgegen. Der Ankömmling übergab ihm das Banner und stieg ab.
„Ich bringe eine Botschaft Seiner Majestät für die Gräfin von Montfort!”
Ghislaine erschrak. „Sie haben Jocelin… und jetzt holen sie mich…“ war ihr erster Gedanke.
Doch der Bote näherte sich mit einer höflichen Verbeugung.
„Madame, ich entbiete Euch die herzlichsten Grüße unseres Königs. Seine Majestät hofft, dass Ihr Euch bei guter Gesundheit befindet.”
Ihre Furcht machte es ihr schwer, den Gruß zu erwidern.
„Ich bin gesandt, Euch im Namen Seiner Majestät einzuladen zur Vermählung von Prinz Philipp...”
Eine Hochzeit! Guter Gott, es ist nur eine Hochzeit!
Sie wandte sich nach den Mägden um, die gerade die Gemüsekörbe entluden und klatschte in die Hände. „Kommt her! - Geht zu Odette und bestellt ihr, sie soll ein reichliches Mahl für unseren Gast herrichten, der eine so freudige Nachricht gebracht hat!”
Dabei war das Letzte, wonach es sie verlangte, ein fröhliches Brautpaar, Lachen, Tanz und Spielleute. Aber eine Einladung des Königs war ein Befehl.
Der Duft der Blumengirlanden erfüllte die gesamte Kathedrale. Kerzenlicht leuchtete auf Brokat- und Seidengewändern, brach sich in kostbaren Schmuckstücken. Adlige und Bürger hatten ihr Möglichstes gegeben, sich herauszuputzen. Einer hatte versucht, den anderen zu übertreffen an diesem Festtag.
Das königliche Paar stand unter
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