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Die Tränen des Herren (German Edition)

Die Tränen des Herren (German Edition)

Titel: Die Tränen des Herren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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einem gestickten Baldachin im Chor. Hoch aufgeschossen der junge Prinz Philipp. Schon jetzt war abzusehen, dass er die viel gerühmte Schönheit seines Vaters nie sein Eigen nennen würde. Er schielte etwas, was ihm einen verschlagenen Ausdruck gab. Die stupsnasige Braut neben ihm wirkte in ihrem schweren Samtkleid wie eine zum Patronatsfest geschmückte Heiligenfigur. Gräfin Ghislaine sah, wie nervös das Mädchen war. Ihr selbst war es nicht anders gegangen, damals, als man sie vor den Traualtar befahl. Sie entsann sich an diesen Tag, als sei er gestern gewesen. Der Graf von Montfort, den sie nur einmal gesehen hatte, zehn Jahre älter als sie, mit einer lauten, dröhnenden Stimme. Die Blumen, das festliche Bankett und schließlich ihre plötzliche Angst, als ihr Gemahl sie ins Brautgemach trug. Ihre Amme hatte sie längst in die Pflichten einer Ehefrau eingeführt gehabt, und dennoch war sie nicht auf das vorbereitet gewesen, was kam. Ihre erste Vereinigung war qualvoll für sie gewesen… In den folgenden Jahren hatte sie sich mit ihm abgefunden, weil ihr keine andere Wahl blieb, und sie hatte für jeden längeren Kriegszug gedankt, der ihren Gemahl für Monate von ihr fernhielt.
    Für einen Augenblick geisterte die Frage in ihr, wie es mit Jocelin hätte sein können. Sie stellte sich vor, wie seine Hände das Brauthemd von ihren Schultern streiften, sanft und langsam, nicht mit der hungrigen Hast, die der Graf von Montfort damals an den Tag gelegt hatte... Mit einem heftigen Kopfschütteln versuchte sie, den Gedanken loszuwerden. Dabei umklammerte sie so fest ihren Rosenkranz, dass die Schnur zerriss und die Perlen mit einem leisen Klirren auf den Steinfußboden rollten.
    „Was bist du doch für eine dumme Gans!“ schalt sie sich im Stillen und presste die Lippen zusammen. „Du weißt nicht einmal, ob er auch nur das geringste Interesse an dir hat! Und wenn es so ist, solltest beten, dass es so bleibt! Er ist ein Mönch und du hast kein Anrecht auf ihn!“
    „Kein Anrecht!!!“
    „Madame Ghislaine?“
    Sie schrak zusammen und merkte erst jetzt, dass sie die letzten Worte laut gemurmelt hatte.
    „Ist Euch nicht wohl?“ Ihre Zofe blickte sie besorgt an. „Ihr seht sehr blass aus...“
    „Alles in Ordnung. Nur etwas viel... Weihrauch...“
    Der Bischof von Paris sprach den Segen über die Brautleute. Unter den Jubelrufen der Versammelten schritt das Paar nun das Kirchenschiff hinunter. Kinder streuten Blumen unter ihre Füße. Draußen vor der Kirche wartete ein dicht gedrängtes Spalier armer Bürger und Bauern. Begierig hefteten sie die Augen auf die Pracht, die ihrem Alltag so fremd war und die aus einer anderen Welt zu stammen schien. Auf dem Kirchplatz waren für den König, das Brautpaar und die übrigen Angehörigen der königlichen Familie prächtig aufgezäumte Reittiere bereitgehalten worden. Zu Pferde legten sie den Weg zum Louvre zurück, immer begleitet von Klatschen, Hochrufen und Blumen.
    Im Louvre angelangt begab sich die Festgesellschaft in den weiten, luftigen Saal, der erst unter König Philipp fertig gestellt worden war. Während die ersten Speisen aufgetragen wurden, postierte sich eine spanische Gauklertruppe in der Mitte des Saales. Der Sänger begann mit einer Preishymne auf den König. Ohne eine Regung zu zeigen lauschte Seine Majestät dem Lob seiner Weisheit, Freigiebigkeit und Tapferkeit. Es war ein schuldiger Tribut, den der Sänger entrichtete. Jeder der Gäste wusste, dass er in der nächsten Schenke ebenso  inbrünstig ein Spottlied auf Philipp zum Besten geben würde.
    „Madame!”
    Ghislaine hob den Kopf. Der spanische Sänger hatte sich ihr zugeneigt. „Ich sehe, unser Lied hat Euer Herz berührt. Ah, welche Wohltat für einen Künstler - aber Eure Augen inspirieren mich zu einem anderen Gesang! Einem Lied vom Blau des Meeres...”
    Früher hatte sie Gefallen gefunden an den Balladen der Gaukler und den Darbietungen kühner Jongleure. Diesmal aber war ihr all dies zuwider. Nur um lästigen Fragen aus dem Weg zu gehen reihte sie sich nach dem Essen schließlich unter die Pavane-Tänzer ein. Hier war es, dass sie sich plötzlich Esquieu de Floyrans lächelndem Gesicht gegenüber sah.
    „Madame Ghislaine, wie schön, Euch zu sehen!”
    Sie wollte den Reigen verlassen, doch schon hatte er ihre Hand ergriffen.
    „Wusstet Ihr, dass die Templer von Paris in diesen Mauern gefangen sind?” rief er ihr zu, während sie die Seiten wechselten. Sehr reizvoll, wenn man bedenkt,

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