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Die Tränen des Herren (German Edition)

Die Tränen des Herren (German Edition)

Titel: Die Tränen des Herren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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päpstlichen Verfügung nichts.”
    „Werdet Ihr versuchen, zu ihm zu gelangen, Sire Jocelin?”
    „Nach dem, was wir hier in Poitiers unternommen haben, ist das wahrscheinlich genau das, was König Philipp erwartet.”
    Arnaud nickte. „Philipps Leute werden auf Chinon sitzen und auf uns warten. Jetzt zu Meister Jacques zu gehen, wäre der sicherste Weg in den Kerker.”
    „Was tun wir dann?”
    „Meister Jacques hat Bruder Jocelin und mich zu Prokuratoren bestellt. Wir können selbständig handeln, ohne neue Befehle des Meisters oder des Kapitels, auch außerhalb Frankreichs... Papst Clemens hat ein Verfahren gemäß dem Kirchenrecht angeordnet und Bischöfe als Untersuchungskommissare eingesetzt. Sie sind es, an die wir uns in erster Linie wenden müssen. Wir müssen die Verteidigung organisieren. König Philipps großer Trumpf war bisher die Isolierung unserer Brüder, von Meister Jacques, von ihren Komturen. Philipp hat einen gegen den anderen ausgespielt.”
    Kaplan Helias stimmte zu. Im Kerker von Provins waren Aufrufe zum Bekenntnis zirkuliert, von dem niemand wusste, ob sie echt oder gefälscht waren, die Inquisitoren hatten von Geständnissen und Anzeigen gesprochen, die vielleicht von Grund auf erlogen gewesen waren.
    „...wir müssen dafür sorgen, dass die Mittel für einen ordnungsgemäßen Prozess zur Verfügung stehen.”
    „Das heißt, dass unsere Brüder dort, wo sie noch in Freiheit sind, so schnell wie möglich so viel wie möglich des Ordensbesitzes verkaufen müssen,” überlegte Jocelin. „Haben wir Vollmacht, so etwas zu befehlen, Arnaud?”
    „Unter diesen Umständen, ja. Wir haben keine andere Wahl.“
    Ja, sie hatten keine Wahl.  

Gekreuzigt
     
     
    „Et postquam venerunt in locum,
    qui vocatur Calvariae,
    ibi crucifixerunt eum. …
    Dividentes vero vestimenta eius,
    miserunt sortes.”
     
    Nachdem sie an jenem Ort angelangt waren,
    den man Calvaria nennt,
    kreuzigten sie ihn dort. …
    Seine Kleider aber teilten sie unter sich auf,
    nachdem sie das Los darüber geworfen hatten.
     
    (Kreuzigung Christi, Lucasevangelium, 33)

Frühjahr 1309 - Frankreich
     
    Die zerklüfteten Hänge der Pyrenäen waren noch immer schneebedeckt, als Jocelin den Ibanetapass hinab ritt. Die Sonne glitzerte auf dem makellosen Weiß, das ihn an die Wüste Palästinas erinnerte. Die Erinnerung erfüllte ihn mit Bitterkeit.
    Nach der Morgenröte der Hoffnung im vergangenen Sommer war eine Nacht des Schreckens über den Orden hereingebrochen. Nachdem ihm ein erneutes Geständnis des Meisters vorgelegt worden war, hatte Papst Clemens am 30. Oktober den ausländischen Fürsten die Verhaftung der Templer geboten.
    Zunächst war dieser Befehl mit nur geringem Eifer befolgt worden. Aber König Philipp war weder bereit, dieses Verhalten zu dulden, noch die sich in Frankreich für den Tempel erhebenden Stimmen, und am letzten Tag des Jahres 1308 verbot Papst Clemens bei Strafe der Exkommunikation und des Interdikts alle Unterstützung für die Ordensbrüder. Das so mühsam geknüpfte Hilfsnetz zerriss. In Aragon begannen die Truppen des Königs die Burgen des Ordens zu belagern. Der Bruder, der das Kommando anstelle des verhafteten Provinzmeisters übernommen hatte, sandte verzweifelte Briefe an König, Papst und Bischöfe - umsonst. Jocelin fand auf der Burg Miravet Zuflucht. Wochen teilte er das Schicksal der Belagerten, die sich auf das Martyrium vorbereiteten. Dann verhalfen ihm zwei Brüder unter Einsatz ihres Lebens zur Flucht. Der Prokurator war zu wichtig, um in die Hände der Inquisition zu fallen! Dabei hatte er in diesen Stunden nichts mehr ersehnt als den Tod, das Ende der Buße, das Ende all der Hoffnungslosigkeit, das barmherzige Vergessen…
    Ende Mai erreichte Jocelin Fontainebleau. Je näher er dem Versteck kam, umso beherrschender wurde die böse Ahnung in ihm. Waren seine Brüder überhaupt  noch in Freiheit? Möglicherweise fand er zwischen dem Gestrüpp und den umgestürzten Stämmen im Herzen des Waldes nur noch modernde Skelette vor?
    „Halt! Wie ist die Parole?” Das Klacken einer Armbrust begleitete die fordernde Stimme. Jocelin blickte erleichtert nach oben in die Felsen. „Jean? Ich bin es, Komtur Jocelin.”
    „Ah, Jocelin! Wir haben schon gedacht, wir sehen Euch niemals wieder! Die Gerüchte aus Spanien waren nicht besonders gut!” Sein Ordensbruder sprang vor ihm auf den Waldboden.
    „Die Wirklichkeit auch nicht. König Jayme belagert unsere Burgen. Der Provinzmeister

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