Die Träume der Libussa (German Edition)
ihre
ängstliche Tochter einmal zu einer geeigneten Nachfolgerin heranwachsen würde.
Aber sie wollte das Kind nicht durch unnötige Härte verschrecken, denn die
Schroffheit ihrer eigenen Mutter, nach der sie ihre Tochter benannt hatte, war
ihr noch gut in Erinnerung.
Mnata störte
sich nicht an Scharkas Empfindsamkeit. Er tröstete und beruhigte sie, wann
immer er konnte. Sobald sein Anblick ein Lächeln auf das Mädchengesicht
zauberte, schien er selbst dadurch zu wachsen.
Libussa winkte
alle drei Kinder heran und machte sich mit ihnen auf den Weg zum Flussufer. Sie
ließ sich an Premysls Seite nieder, während Mnata die kleineren Geschwister
Lidomir und Scharka an einer flachen Stelle des Ufers ermunterte, ihm ins
Wasser zu folgen. Er beobachtete Lidomirs erste Schwimmversuche und war bemüht,
den jüngeren Knaben keiner Gefahr auszusetzen, doch seine wahre Aufmerksamkeit
galt wie gewöhnlich Scharka. Lachend hing sie an Mnatas Hals, als er ein paar
Schwimmzüge machte, um weiter in die Mitte des Flusses zu gelangen.
„Ein
vorbildlicher Bruder“, hatte Libussa einmal zu Kveta gesagt, doch die Kindsmagd
musterte sie nachdenklich.
„Er ist aber
nicht Scharkas Bruder, Herrin. Und wenn diese Innigkeit zwischen beiden anhält,
wird sie in ein paar Jahren vielleicht ganz andere Formen annehmen. Willst du
deine Tochter einem Hunnen überlassen?“
Libussa fand
den Gedanken der Kinderfrau eigenartig, ging jedoch nicht weiter darauf ein.
Zwar konnte sie das Verhalten ihrer Leute beeinflussen, aber nicht immer ihr
Denken. An Premysls Schulter gelehnt, genoss sie einen Augenblick völliger Ruhe
im warmen Sonnenlicht. In ein paar Tagen würden die ersten Gäste für das Fest
eintreffen, und dann war es mit dieser vertrauten Zweisamkeit erst einmal
vorbei. Sie schloss die Augen.
„Libussa, ich
glaube da kommt jemand“, schreckte Premysl sie aus ihren Träumereien. In der
Ferne, am anderen Ufer der Vltava, erblickte sie winzige Reiter, die allmählich
wuchsen, je näher sie an Praha herankamen. Bald schon bebten die Bretter der
Brücke unter den Hufen ihrer Pferde.
Krok betrat entschlossen den
Saal. In seiner Gefolgschaft erkannte Libussa Eric sowie noch drei andere
Krieger, in die er großes Vertrauen setzte. Die übrigen Männer hatte sie nie
zuvor gesehen. Sie trugen die verzierte Kleidung von Kriegern, doch fehlten die
in ihrem Volk üblichen Kreuzstickereien und roten Farbtöne. Ein sehr großer,
kräftiger Mann, dessen Haar zu kunstvollen Zöpfen geflochten war, stand
unmittelbar neben Krok. Er hatte das raue Gesicht eines erfahrenen Kämpfers und
musterte Libussa skeptisch, als könne er nicht verstehen, wie der Stab eines
Fürsten in ihre zarten Hände gelangt sein konnte.
„Das ist
Dragoweill, Anführer der Wilzen“, stellte Krok den Unbekannten vor. „Die drei
Männer neben ihm sind Gesandte Widukinds, eines sächsischen Fürsten. Sie sind
bei den Wilzen eingetroffen und baten um Unterstützung. Dragoweill wandte sich
an mich, da ich sein Volk vor einiger Zeit besucht hatte. Mein Entschluss ist
bereits gefällt, doch bitte ich gemäß unserer Tradition um dein Einverständnis,
Libussa. Dann kann ich die fürstlichen Clans, die bald für das Fest hier
eintreffen werden, auffordern, mir in den Krieg zu folgen.“
Die hölzernen
Wände des Saales schienen zu wanken. Kriege ließen sich nicht vermeiden, wie
ihre Mutter immer gesagt hatte. Doch seit sie selbst Fürstin und Hohe
Priesterin war, herrschte Frieden in ihren Ländern. Sie fürchtete sein Ende.
Tief in ihr erwachten die Erinnerungen an böse Träume, in denen Schwerter
aufblitzten. Libussa riss sich zusammen und begrüßte die Gäste mit einem
Kopfnicken.
„In welchen
Krieg willst du ziehen, Onkel?“, fragte sie dann.
Krok winkte
einen der Fremden zu sich heran. „Dies ist ein Mann aus dem Volk der Wilzen,
der auch die Sprache germanischer Stämme versteht. Er kann für dich übersetzen,
was die Abgesandten Widukinds erzählen.“
Der Sachse
begann in einer rauen Sprache zu reden. Danach ergriff der Übersetzer das Wort.
„Vor einigen Jahren kam ein Mönch der Christen zu uns, um unser Volk zu
bekehren. Das hatten bereits einige vor ihm ohne großen Erfolg versucht. Doch
dieser Mann sprach nicht einfach von seinem Glauben, er drohte uns. Sollten wir
uns weiter dem Christengott verweigern, der nur unser Bestes will, so stünde
schon ein irdischer König bereit, um in unser Land einzudringen, zu rauben und
zu verwüsten. Er würde uns
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