Die träumende Welt 02 - Das Schattenreich
unablässig um, als fürchteten sie, verfolgt zu werden. Kurz darauf entdeckte Gemma den Grund für ihre Nervosität.
»Da!« rief Dacey und zeigte auf den oberen Klippenrand.
Alles blickte in die angegebene Richtung und sah die Masse durchsichtiger, blauer Flammen, jede mannsgroß, die sich dort versammelt hatte.
Elementale! stellte Gemma fest. Sie war diesen furchterregenden Geschöpfen bereits einmal begegnet, und was sie getan hatten, hatte ihr einen gehörigen Schrecken eingejagt. Aus eigener Erfahrung wusste sie, dass sie jede beliebige Gestalt annehmen und sich mit unglaublicher Geschwindigkeit fortbewegen konnten.
Die Elementalen verließen ihren Ausguck und stürzten sich wie Raubvögel auf die Reiter. Wrays Stimme hallte durch die Stille. Gemma drehte sich um und sah ihn in den Steigbügeln stehen und mit glühendem Blick beidarmig nach vorne zeigen.
»Ich habe Macht über euch! Stört uns nicht!« rief er. Im selben Augenblick hörte Gemma einen der gefangenen Meyrkats schreien.
Die Götter kommen! Singt! Die Götter kommen!
Ihr Kopf wirbelte herum. Schmerz und Bestürzung ließen sie hinabtrudeln in die dunklen Regionen ihres Verstandes. Tief im Innern brannte ein flackerndes Licht, und plötzlich erkannte sie, dass die Vandalen Drachenblumensamen geladen hatten - was auch der Grund für den Wahn der Meyrkats war. Der Sack, in dem die Tiere gefangen waren, enthielt Rückstände der starken Droge. Sie bekam einen Wutausbruch, der den Schmerz vergessen ließ und neue Kanäle des Lichts eröffnete. Gemma fühlte, wie ihre Kraft anschwoll, entfacht von den irren Gedanken der Meyrkats. Dies war ihre einzige Chance, und sie überlegte sich sofort, was zu tun war.
Die Elementalen waren ursprünglich näher gekommen, doch Wrays Kommando hatte sie erst gebremst, dann zum Stillstand gebracht. Sie schwebten vor den nervösen Pferden als flackerndes, blaues Licht, in das man unmöglich lange blicken konnte.
»Lasst uns durch!« befahl Wray. »Ihr müsst mir gehorchen.«
Die Flammen wichen langsam zurück, widerstrebend, wie Gemma vermutete. Sie hatten nur ihre Freundschaft zeigen wollen und merkten nichts von dem Entsetzen, dass ihr gespenstischer Auftritt auslöste.
Ihr braucht nicht zu gehen, sagte sie stumm zu ihnen. Ich heiße euch willkommen. Ihr Gruß war ein Reflex, ausgelöst durch ihre Traurigkeit und der Sehnsucht nach Gesellschaft. Sie konnte unmöglich wissen, was dies für seltsame Geschöpfe waren oder was sie bewegte, doch ihre Einsamkeit rührte ihr das Herz. Sie gab ihren Worten einen überzeugten Klang und wusste, dass sie Gehör fanden. Ich heiße euch willkommen.
Dann geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Die Elementalen schossen erneut nach vorn, sprangen und wirbelten in einem Freudentanz herum. Pferde bäumten sich entsetzt auf, die Maultiere sprangen in alle vier Himmelsrichtungen davon, und die Meyrkats sangen und vergrößerten mit ihren disharmonischen Stimmen noch den allgemeinen Lärm. Dann hörte Gemma noch andere Stimmen heraus und wusste, dass es nicht nur die gefangenen Meyrkats waren, die da sangen. Der Rest des Clans war eingetroffen und stimmte seinen Schlachtgesang an. Dann sah sie sie. Sie flitzten zwischen den Pferden und Lasttieren hindurch. Wrays Stimme übertönte den Lärm, doch sein Wutausbruch blieb ohne Folgen. Gemma hatte seine Macht gebrochen.
Mehrere Männer waren abgeworfen worden, und auch Gemma musste sich mit allerletzter Kraft festhalten. Sollte sie stürzen, würde sie schutzlos an den Seilen, mit denen sie festgebunden war, über den Boden geschleift werden. Ihr Reittier scheute, und sie war dankbar, als Dacey an ihrer Seite auftauchte. Er war zu Fuß, und obwohl er aus einer Schnittwunde über dem Auge blutete, gelang es ihm, ihr Lasttier ruhig zu halten, bevor er ihre Füße losband und sie herunterhob.
»Dacey! Kümmere dich nicht um sie. Lauf den Maultieren nach!« brüllte Aric wütend, und der junge Mann beeilte sich, zu gehorchen.
Augenblicke später war Gemma von Meyrkats umzingelt. Sie fühlte, wie einer von ihnen die Seile durchnagte, mit denen sie an den Handgelenken gefesselt war, und war bald befreit. Sie massierte sich das Blut in die Hände zurück und betrachtete das Durcheinander ringsum.
Komm, Gemma meinte Ox. Wir müssen rasch weiterwandern.
Wo sind die anderen? fragte sie und sah sich nach dem Maultier um, das ihre Gefährten getragen hatte. Sie hatte es schnell gefunden, doch es war bereits ein Stück entfernt.
»Komm
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