Die träumende Welt 02 - Das Schattenreich
»Entschuldigt bitte, dass ich es euch ausgerechnet in diesem Augenblick sagen muss.«
»Gute Neuigkeiten sind jederzeit willkommen«, behauptete Dale.
Gemma wollte Mallory in die Arme schließen, zögerte jedoch erst einmal, denn sie wusste nicht, wie empfindlich ihre Freundin war.
»Ich bin nicht aus Glas«, meinte Mallory und drückte Gemma lachend an sich. Nachdem sie sich voneinander gelöst hatten, hielten sich die beiden Frauen noch immer an den Händen. Es gelang Gemma mühelos, in ihre Freundin >hineinzusehen< und den Zustand des Ungeborenen zu prüfen. Dann merkte sie plötzlich, was sie tat, und zog sich verlegen zurück. Ihre Freundin blickte sie mit einem erwartungsvollen Lächeln im Gesicht an.
»Und?« erkundigte Mallory sich.
Gemma brachte es nicht fertig, ihr in die Augen zu sehen.
»Es geht ihr gut«, flüsterte sie kaum hörbar.
»Ihr?« fragte Kragen. »Bist du sicher?«
Mallory hegte weniger Zweifel an Gemmas Vorhersage.
»Wir werden sie nach dir nennen«, verriet sie Gemma entzückt. »Würde dir das gefallen?«
»Ich würde mich mehr als geehrt fühlen«, erwiderte Gemma leise. »Tut mir leid - ich wollte nicht neugierig sein.«
Mallory ergriff erneut ihre Hände und drückte sie fest.
»Ich wäre gekränkt gewesen, wenn du es nicht getan hättest«, meinte sie. »Du bist eine Heilerin, Gemma, und es gibt keinen Grund, dich dessen zu schämen oder es für aufdringlich zu halten.«
»Schließlich ist das ein Gesichtspunkt deiner Zauberei, den du kontrollieren kannst«, fügte Kragen hinzu, der endlich begriff.
Gemma nickte, dann breitete sich ihr instinktives Bewusstsein ein weiteres Mal aus. Sie spürte das Pulsieren des Embryos unter ihren Händen, und einen kurzen Augenblick lang sah sie das zukünftige Kind vor sich. Sie blickte aus großer Höhe auf die Welt hinab, als stünde sie auf dem Gipfel eines Berges. Die Vision verblasste, dann war sie verschwunden, ohne Gemma ihre Bedeutung preiszugeben. Offenbar stand ihr die Verwunderung ins Gesicht geschrieben, denn Mallory fragte sie sofort, was sie gespürt hatte.
»Ich weiß es nicht genau«, erwiderte Gemma, »aber sie wird etwas Besonderes sein.« Sie war sich dessen absolut sicher, konnte aber nicht sagen, warum, und sie verspürte eine eigenartige Abneigung, über das Gesehene zu sprechen.
»Aber ist sie gesund?« wollte Kragen wissen.
»Ja.« Gemma ließ Mallorys Hände los. »Sie ist vollkommen gesund.«
»Wann wird sie geboren?« fragte Hewe.
»In ungefähr sechs Monaten«, antwortete Mallory.
»Ich würde gerne hierbleiben und sehen, wie sie geboren wird«, sagte Gemma. Auf ihre Worte hin senkte sich eine Stille über den Raum.
»Ich werde dich begleiten«, meinte sie zu Hewe, »aber ich stelle zwei Bedingungen. Die erste ist, dass der Untergrund regelmäßig in Verbindung mit dem Tal bleibt. Sollte Arden jemals hierher zurückkehren, will ich das erfahren - und ich will, dass er weiß, wo ich bin.«
»Einverstanden«, meinte Hewe. »Was noch?«
»In sechs Monaten muss alles erledigt sein«, sagte sie und lächelte. »Damit ich sehen kann, wie meine Namensschwester geboren wird.«
»Ich werde tun, was ich kann«, antwortete er grinsend. Beide wussten natürlich, dass niemand dies garantieren konnte.
»Wann brechen wir auf?«
»Übermorgen«, schlug er vor. »Bei Tagesanbruch. Lässt dir das genügend Zeit für deine Vorbereitungen?«
Gemma nickte. Sie wusste, dass sie sich beeilen mussten, war aber dankbar für den einen Tag, an dem sie sich verabschieden konnte. Wieviel Zeit sie auch hatte, es wäre zu wenig, um ganz auf ihre Fähigkeiten zu vertrauen. Sie musste sich ganz auf ihre Eingebung verlassen - und auf die Hilfe ihrer Freunde.
Der nächste Tag verging in hektischer Aktivität, auch wenn es Gemma so vorkam, als täten all die anderen die Arbeit, während sie still im Auge des Sturmes saß.
Man schaffte ihr Pferd von Elways Farm am anderen Ende des Tales herbei. Arden hatte ihr Mischa geschenkt, nachdem er sie in der Wüste gerettet hatte. Man machte Sattel und Zaumzeug fertig und verstaute die paar Dinge, die sie benötigte, in zwei kleinen Taschen. Hewe weigerte sich, Proviant anzunehmen, und erklärte, mit leichtem Gepäck kämen sie schneller voran. Außerdem könnten sie in Dorfschenken oder Gasthäusern an der Straße essen.
Mallory schnitt Gemma die Haare ab und nähte einen Schleier an den hinteren Rand eines ledernen Huts, so dass man den übriggebliebenen Rest ihrer verräterischen
Weitere Kostenlose Bücher