Die träumende Welt 02 - Das Schattenreich
vollkommen abgelegenen Besitz, und der Farmer ahnte nichts von dem nur eine Tagesreise südlich seines Hauses gelegenen Land.
Die nächsten paar Tage folgten sie dem Fluss und machten in Gasthäusern Rast - in Dörfern, die immer größer und wohlhabender wurden, je weiter sie nach Norden kamen. Dann, am vierten Tag nach Verlassen des Tales, führte Dale sie zu einem einsamen Haus in einer baumbestandenen Senke, und sie ließen den Fluss hinter sich. Noch bevor sie Gelegenheit hatten, abzusteigen, ging die Tür auf, und eine alte Frau kam heraus, um sie zu begrüßen. Sie hatte weißes Haar, und ihr Lächeln war herzlich.
»Gut«, meinte sie. »Ich könnte etwas Gesellschaft gebrauchen.«
»Wo sind deine Jungs?« erkundigte sich Dale.
»Meine Söhne sind viel unterwegs - wie du sehr gut weißt«, gab sie zurück, dann warf sie einen Blick auf Gemma. »Ihr habt sie also gefunden.«
»Hast du jemals erlebt, dass wir keinen Erfolg gehabt hätten?« fragte Hewe grinsend und breitete die Hände aus.
»Du solltest klüger sein, als eine alte Frau wie mich nach männlichem Versagen zu fragen«, erwiderte sie. »Was ist? Steht nicht so herum!« Damit machte sie kehrt und ging ins Haus, und die anderen folgten ihr.
»Da diese beiden Grobiane nicht in der Lage waren, mich vorzustellen«, fuhr sie fort, als sie sich setzten, »werde ich es selber tun. Ich bin Adria. Und ihr seid vermutlich Gemma und Arden.«
»Nein. Ich bin Ashlin«, erwiderte der junge Mann. »Arden ist ...«
»Arden ist verschollen«, unterbrach Gemma ihn entschieden. Seinen Namen zu hören riss die Wunde wieder auf, aber sie hatte nicht die Absicht, sich das anmerken zu lassen. Adria musterte sie nachdenklich.
»Die beiden haben mir erzählt, dass du bestimmte Talente besitzt«, sagte sie.
»Sie haben vermutlich recht«, erwiderte Gemma. »Aber ich weiß nicht, wie ich sie richtig einsetzen soll.«
»Erzähle mir alles«, forderte Adria sie auf und lehnte sich zurück.
Das folgende Gespräch dauerte mehrere Stunden. Adria hörte meist nur zu und stellte gelegentlich eine Frage. Besonders interessierte sie der Zauber des schaukelnden Steins, die schwebende Stadt und Gemmas Zusammentreffen mit den Elementalen. Die drei Männer beteiligten sich nur wenig an dem Vortrag, fügten aber hie und da ein paar Einzelheiten hinzu. Als es draußen dunkel wurde, zündete Dale Lampen an und fand für alle etwas zu essen.
Schließlich kam Gemma zum Ende ihrer Erzählung, und sie war müde und ihre Kehle vom vielen Sprechen wund. Adria dagegen wirkte immer noch munter und schien noch nicht genug zu haben.
»Diese Magie in deinem Kopf«, begann sie, »wie äußert sich die?«
»Wie goldene Funken oder Blitze inmitten einer gewaltigen Dunkelheit«, antwortete Gemma. »Das Licht ist sehr trügerisch.«
»Und du musst dich dieser Dunkelheit überlassen, um das Licht zu finden ?«
»Ja. Woher wusstest du das?«
Adria überging die Frage.
»Und Wut ist manchmal hilfreich, genau wie Drachenblumensamen?« fragte sie weiter nach.
»Sieht so aus. Ich habe keine Ahnung, wieso.«
»Haben dir die Zauberer im Norden denn gar nichts über Magie beigebracht?« fragte die alte Frau.
»Nein. Ich war nur ein kleines Mädchen, daher haben sie wohl keinen Sinn darin gesehen!«
»Diese Narren!« stieß Adria angewidert hervor. »Es waren vermutlich alles Männer?«
»Alle, bis auf eine, aber die ist während des Schleifens verschwunden.«
»Komm her, mein Kind.«
Gemma hatte nichts dagegen, von Adria auf diese Weise angesprochen zu werden. Diese Alte wusste mehr, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte, und Gemma bewunderte bereits jetzt ihren lebhaften Verstand und ihre offenherzige Art. Sie ging also folgsam zu ihrer Gastgeberin hinüber, die beide Hände um Gemmas Kopf legte. Adria betastete mit dem Daumen die Schläfen und mit den anderen, kühlen Fingern den Bereich hinter und unter den Ohren. Sie schloss die Augen und verharrte so lange reglos schweigend, dass Gemma sich bereits fragte, ob die alte Frau vielleicht eingeschlafen war. Dann stiegen die schwarzen Wirbel des Unverstandes in ihr auf, die immer beängstigend waren, obwohl Gemma wusste, was sich dahinter verbarg. Sie ließ sich in sie hineinsinken. Irgendwie wusste sie, was von ihr erwartet wurde. Die vertrauten goldenen Funken erschienen und schossen chaotisch in alle Richtungen.
»Zauberei ist Energie«, erklärte Adria ruhig. »Sie ist in uns allen gegenwärtig, doch nur wenige haben die
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