Die träumende Welt 02 - Das Schattenreich
grausame Lachen seines Vaters, und Arden blieb nichts weiter übrig, als mit anzusehen, wie das armselige Menschenbündel zu verkohlen und zu zischen begann, während die Kleider Feuer fingen und das Fleisch sich löste. Seine Mutter verwandelte sich vor seinen Augen zu Asche. Bald war nur noch ein klebriger, schwarzer Fleck übrig, der schimmernd auf dem Höhlenboden zurückblieb.
»Das hast du getan«, bemerkte der Wurm beiläufig.
»Sie war bereits tot, als ich das Haus niederbrannte«, brüllte Arden zurück. »Du warst es, den ich getötet habe!«
Hohngelächter war die einzige Antwort. Arden schloss die Augen, doch die widerlichen Bilder verschwanden nicht.
»Mich wirst du niemals los sein«, versprach sein Vater noch einmal, dann verschwand er, und die Höhle wurde in Dunkelheit getaucht.
Er befand sich in einem Tunnel und kämpfte sich zum Licht, doch er kam ihm kein Stück näher. Hoch über ihm schien die Sonne, dann hörte man Lachen und Gesang, das Geräusch von fließendem Wasser und das Rascheln von Blättern im Sommer. Doch nichts davon reichte bis in Ardens Welt, eine Welt aus endloser Verzweiflung.
In dem Bewusstsein, dass all sein Mühen umsonst war, kletterte er weiter und spürte, wie der Schacht enger wurde, der Fels sich gegen seinen Körper drückte. Dann konnte er sich nicht mehr bewegen - das Gestein hielt ihn auf allen Seiten fest, das Licht war immer noch weit oben, in unerreichbarer Ferne. Der Stein legte sich immer enger um seinen Körper.
Seine letzte Wahrnehmung, bevor sich der Fels über seinem Kopf schloss, war ein flüchtiger Blick auf Gemmas Gesicht, hoch oben, das in den Schacht hinunterblickte. Er versuchte, etwas zu rufen, konnte aber nicht. Das Licht schwand, und er lag eingehüllt in Stein.
Allmählich gewann Arden die Kontrolle über seinen Verstand zurück. Als die letzten Halluzinationen nachließen, schlief er ein, zu erschöpft zum Träumen. Er war wieder hungrig, betrachtete jedoch seinen leeren Magen als Segen.
Als er das nächste Mal erwachte, kroch er ans Wasser, trank, benetzte sein Gesicht und versuchte die alptraumhaften Bilder zu vergessen, die ihn gepackt hatten. Sein Bein schmerzte wieder.
Er schaute hoch zu der kreisrunden Zeichnung. Jetzt ver stand er, warum sie dort war. Für den Künstler - wer immer es gewesen sein mag - war dieser Ort eine Quelle der Furcht und der Verehrung gewesen. Trotz all seiner dunklen Winkel war dies kein Ort, an dem man sich verstecken konnte.
Arden wappnete sich für weitere Versuche, in die Freiheit zu gelangen. Vor dem Verlassen der Höhle warf er noch einen letzten Blick auf die harmlos scheinenden Pilze. Jetzt weckten sie in ihm eine Mischung aus Ehrfurcht und Ekel, perverserweise war er jedoch überzeugt, dass sie ihm das Leben gerettet hatten. Er brach mehrere Stücke ab und stopfte sie in seine Taschen und entschuldigte sich murmelnd für die Entweihung des Ortes.
Der Ausgang des ersten Tunnels, den Arden probierte, war unglaublich eng, und der zweite erwies sich als unpassierbar, als er sich einer steilwandigen Schlucht gegenübersah. Er warf einen Stein in die unsichtbare Tiefe und zählte zwanzig Herzschläge, bis ihm klar wurde, dass er den Aufschlag ohnehin nicht hören würde. Die Seitenwände der tödlichen Schlucht ließen sich nicht umklettern, er war also gezwungen, ein weiteres Mal mühsam in die Höhle zurückzukriechen. Dort angekommen ruhte er sich aus, bevor er seine Erkundungen wieder aufnahm. Die ersten beiden Höhlenausgänge hatte er ausgewählt, weil sie sich nach oben neigten - und wegen des spürbaren Luftzugs. Seine nächste Entscheidung fiel auf den bislang größten - und dunkelsten.
Arden bewegte sich vorsichtig, war jedoch erleichtert, als sich herausstellte, dass der Boden vergleichsweise eben war. Der Weg wand sich, und schon bald konnte Arden weder das Licht von der Höhle noch von vorne erkennen. Er spürte ringsum keine Bewegung in der Luft und hatte das Gefühl, leicht abwärts zu kriechen.
In völliger Dunkelheit krabbelte er weiter, tastete sich mit den Händen vor und stieß sich mit seinem gesunden Bein ab. Der Fels unter ihm war kühl und trocken, und an manchen Stellen fast glatt. Das gab Arden Hoffnung - war er vielleicht von den Füßen früherer Besucher abgenutzt worden? Sein Verstand beschwor düstere Fackelprozessionen herauf, von in Gewänder gehüllten Gestalten, die sich unter monotonem Sprechgesang der geheiligten Höhle näherten. Er musste grinsen. Ich könnte
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