Die träumende Welt 02 - Das Schattenreich
als er sich mühsam zwischen dem Nachtgift hindurchschleppte. C'tis sah, dass er über einen starken Antrieb verfügte, und war immer wieder über seine Fähigkeit verblüfft, mit Krankheiten zurechtzukommen, die die Stärksten aus ihrem Volk getötet hätten.
Viele Tage verstrichen, bevor ein dritter Traum von Gemma eine weit dramatischere Veränderung in Ardens Zustand ankündigte. Noch immer konnte er sich nicht mit ihr verständigen, auch wenn ihre Lippen sich stumm bewegten und ein flüchtiges Lächeln über ihr sorgenvolles Gesicht spielte. Er klammerte sich an dieses wundervolle Bild, solange es eben ging, doch mit der Zeit verschwomm sein Traumbild, es verblasste und ließ ihn ein weiteres Mal alleine in der Dunkelheit zurück.
Nein. Dunkelheit war es nicht.
Schattenfarben spielten auf seinen Augenlidern. Er machte die Augen auf und blickte voller Verwunderung auf die weichen, pulsierenden Lichter, die über ihm tanzten.
Lichtkristalle des Mondes, dachte er.
Diesmal waren es noch mehr. Sie waren regenbogenfarben und befanden sich ständig in Bewegung, sich stets verändernd, und das in einem Tempo, dass sein angeschlagenes Sehvermögen ihre Schönheit nur annähernd übermitteln konnte. Arden fühlte, wie C'tis sich zu ihm gesellte und auch sie zur Höhlendecke hinaufblickte.
»Was ist das?« sagte er atemlos.
»Das sind die Flüsterer«, erwiderte sie mit einer Stimme, die voller Verwunderung war.
»Sie sind wunderschön.«
Sie sahen ergriffen schweigend zu. Keiner der beiden wusste, wie lange die Flüsterer tatsächlich blieben, doch als sie verschwanden und mit einem Flackern in einem einzigen Augenblick erloschen, fielen beide, die Heilerin und ihr Patient, in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Seite an Seite lagen sie in der Mitte der Höhle, bis ein normaleres Licht in den Diamantkristall zurückkehrte und seinen schwachen Glanz im Innern der Flüstergalerie verströmte.
Sie wachten im selben Augenblick auf und sahen sich an. Die Erinnerung stand ihnen in den Augen, und es war ihnen peinlich, dass sie sich so nahe waren. Dann bemerkte C'tis noch etwas anderes.
»Du kannst ja sprechen!« stieß sie hervor.
26. KAPITEL
Genau in diesem Augenblick betrat T'sin die Kammer. C'tis sprang sofort auf. Der Umhang des Propheten raschelte leise, und er betrachtete die Szene vor ihm mit seinen unergründlichen Augen.
Ist er gerufen worden? überlegte C'tis. Niemand hat mich gewarnt!
Ihre Sorge ließ nach, als der Prophet lächelte, und verschwand ganz, als er zu sprechen begann.
»Guten Tag, Heilerin.« Der Titel klang bei ihm wie ein Kosename, so als spräche er zu seinem Lieblingskind. »Sorge dich nicht - mich treibt nur die Neugier her. Wie geht es deinem Patienten?«
»Schon sehr viel besser«, gab C'tis zurück und warf einen Blick auf den Mann zu ihren Füßen.
»Rael ist gnädig« erwiderte T'sin. Er klang erfreut.
»Die Grünlicht-Krankheit hat ihn geschwächt und ihm viele Schmerzen bereitet«, fuhr sie fort, »aber jetzt geht sie zurück. Die Werte der Erd-Wildheit sind stark gesunken, und sein Bein wird wieder völlig genesen.« Sie war nervös, weil sie zum ersten Mal direkt mit einem der Propheten sprach, und flüchtete sich in die Mitteilung jener Tatsachen, die sie sicher wusste. »Noch eine Flusswende, und er müsste nach meiner Schätzung vollkommen wiederhergestellt sein.«
T'sin nickte. »Du hast eine gute Wahl getroffen, ihn hierherzubringen«, meinte er zu ihr. »Deine Anwesenheit war hier willkommen.« Der Prophet blickte zur Decke hinauf, und C'tis folgte seinem Blick und erinnerte sich.
Er weiß von den Flüsterern, dachte sie.
»Es sind Boten von Rael«, erklärte der Prophet wie als Antwort auf ihren Gedanken. »Das kleinste Zeichen seiner Macht - Träume innerhalb der Träume. Dein Freund hier hat von ihrem Erscheinen profitiert.«
C'tis hatte auf etwas Derartiges gehofft und freute sich über T'sins Worte, und dennoch machte sie ihre Freude nicht blind für die Wortwahl des Propheten. Zuvor hatte er von ihrem >Patienten< gesprochen. Und nun sagte er >dein Freund«. Sie suchte nach Anzeichen der Missbilligung, konnte aber keine finden. T'sins Gesichtsausdruck war gütig, doch seine schwarzen Augen so unergründlich wie immer.
»Das freut mich«, brachte sie hervor.
»Du besitzt ein seltenes und wertvolles Talent«, fuhr der Prophet fort. »Deine Kollegen loben dich in den höchsten Tönen, und wir haben keinen Grund, ihrem Urteil zu widersprechen. Deine Instinkte
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