Die träumende Welt 02 - Das Schattenreich
Propheten kommen hierher, um Raellim zu essen und die Träume der Berufung zu träumen«, erklärte sie ihm. »Diese Träume verfügen über heilende Kräfte. Ich hoffe also, du kommst zu dem gleichen Ergebnis.«
Sie merkte plötzlich, dass sie laut mit einem Bewusstlosen sprach, und schloss schnell den Mund. Trotzdem, sie wusste, dass ihr Entschluss, den Fremden herzubringen, nicht ausschließlich auf das Bedürfnis nach Ruhe und Frieden zurück-zuführen war. Es gab noch einen tieferen Grund, weshalb sie diesen Ort gewählt hatte, etwas, das sie bislang nicht als einen wichtigen Teil ihres Lebens betrachtet hatte.
Den Glauben.
Schließlich befreite sich sein Geist. Wieder sah er all die Wunder des unterirdischen Königreiches, und zum ersten Mal verstand er sie. Er sah seine Schönheit und das Grauen und fühlte Demut angesichts seiner unbekannten Größe. Seine Reise wurde zu einer Offenbarung, doch mit diesem neuen Wissen und der Freiheit, die sie mit sich brachte, waren Schmerzen und Sehnsucht verbunden, Krankheit und Verzweiflung. Er war wieder Mensch, mit all seiner Bedeutungslosigkeit und Zerbrechlichkeit.
Und doch war er nicht alleine, und seine Augen waren nicht die einzigen, die in diese Dunkelheit hineinstierten. Sie war da ... und begleitet wurde sie von zahlreichen kleinen, pelzigen Wesen, deren Wissbegier seiner eigenen entsprach. Die Meyrkats teilten seinen Traum.
25 . KAPITEL
Der Fremde sollte fast drei Flusswechsel - oder Monate, wie er es genannt hätte - in der Flüstergalerie bleiben. Sein Bein verheilte vor Ablauf dieser Zeit vollständig - wenn es auch leicht gekrümmt blieb. Die kombinierten Auswirkungen von Raellim und der Grünlicht-Krankheit brauchten jedoch viel länger, um völlig zu verschwinden. C'tis wusste, dass sein Bein ebenso kräftig werden würde wie früher, vorausgesetzt er hatte Gelegenheit, es richtig zu trainieren. Zu Beginn ihrer Krankenwache jedoch konnte sie über die vollständige körperliche und geistige Genesung ihres Patienten nur Vermutungen anstellen. Noch immer strömte die Erd-
Wildheit durch seine Adern, die jede innere Untersuchung schwierig und verwirrend machte.
Die Heilerin verbrachte so viel Zeit wie möglich bei ihm, manchmal schlief sie sogar in der Flüstergalerie. Ihre Anwesenheit in der verehrten Höhle, als der Diamantkristall erst dunkler wurde und dann ganz erlosch, füllte C'tis mit einer eigenartigen Mischung aus Erregung und Schuldgefühlen. Fast war es, als wäre sie wieder ein Kind, das die Anweisungen seiner Eltern nicht befolgt. Ständig wartete sie darauf, dass die Flüsterer zum Vorschein kamen, und oft bildete sie sich ein, ihre gespenstischen Stimmen zu hören. Manchmal zitterte sie vor Angst, wenn ohne erkennbaren Grund ein seltsam unerklärliches Bild vor ihrem inneren Auge erschien. Diese Visionen waren flüchtig und entglitten aus ihrer Erinnerung wie Träume, doch ihr beunruhigender Einfluss blieb. Auch der Fremde war in diesen Augenblicken betroffen. Sie bemerkte, dass seine Augen unter den Lidern heftig zuckten und seine Muskeln sich zusammenzogen.
Die meiste Zeit jedoch herrschte in der Flüstergalerie eine heitere und ruhige Atmosphäre.
Anfangs kamen die anderen Mitglieder des Kontrolltrupps häufig zu Besuch, wenn auch L'tha niemals lange blieb und J'vina schnell das Interesse verlor. B'van war C'tis Hauptkontakt zur Außenwelt. Er brachte die notwendigen Dinge des täglichen Lebens und teilte sich mit C'tis die Wache an der Seite des Fremden. Der große Mann war immer unruhig, wenn er von einer Expedition ins Dorf zurückkehrte, und diese Pflichten verschafften ihm ein wenig Abwechslung. C'tis war ihm für seine Hilfe sehr dankbar.
D'vor und V'dal brachten ihnen die Neuigkeiten von der Ausbreitung der Vergiftung.
»Wir haben unsere Karten mit denen der beiden anderen Gruppen verglichen«, setzte D'vor an, dann zögerte er.
C'tis hob die Brauen. »Und weiter?«
»Es sieht schlimm aus«, meinte V'dal zu ihr. »Sie breitet sich viel schneller aus, als wir angenommen hatten.«
»Wie schnell, wurde erst richtig klar, nachdem wir drei
verschiedene Messungen ausgewertet hatten«, fügte D'vor hinzu.
»Was sagen die Propheten?« fragte C'tis.
»Sie haben uns beauftragt, noch ein paar weitere Tunnel zu verschließen, aber sie wissen, dass das nur eine vorübergehende Lösung sein kann«, antwortete V'dal.
»Sie sind besorgt«, fuhr D'vor fort. »Auch wenn sie es nicht zugeben, es gibt Überlegungen, diesen Ort zu
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