Die Tramps von Luna
daß wir hier draußen ein provisorisches Schweißgestell errichten könnten …«
»Meinetwegen. Aber es ist heute viel zu schön, um über ernste Dinge zu sprechen.« Er hob die Hände und sah sich um. »Großartige Landschaft. Eine Menge Ellbogenfreiheit.«
»Das stimmt. Aber komm erst mal auf die Tagesseite, wenn du etwas Ordentliches sehen willst.«
»Gut. Helft mir bei den Leinen.« Sie machten seine zweite Leine an einer Öse fest, und gemeinsam gingen sie ins Sonnenlicht. Kapitän Stone, der noch auf der Erde geboren war, warf zuerst einen Blick auf seinen Heimatplaneten. »Sieht aus, als gäbe es einen mächtigen Sturm über den Philippinen.«
Keiner der Zwillinge antwortete. Das Wetter war ihnen zum größten Teil ein böhmisches Dorf, da sie auf dem Mond nur Klimaanlagen kannten.
Plötzlich wandte sich Roger Stone um und fragte: »Seid ihr froh, daß wir hergekommen sind?«
»Und ob!« »Kannst du dir denken!« Sie hatten vergessen, wie kalt und abweisend die schwarze Tiefe um sie vor kurzem noch ausgesehen hatte.
Sie standen ziemlich lange da und genossen die Aussicht. Schließlich sagte Kapitän Stone: »Mehr Sonne vertrage ich im Moment nicht. Gehen wir zurück in den Schatten.«
»Wir müssen ohnehin wieder an die Arbeit.«
»Ich helfe euch – dann geht es schneller.«
*
Die Moostöter setzte ihren Weg zum Mars fort. Allmählich gewöhnten sich die Familienmitglieder an die tägliche Routine. Dr. Stone war auch im schwerelosen Raum eine geschickte Köchin, da sie ein Jahr lang in einer Forschungsklinik der Erdstation praktiziert hatte. Meade hatte ihre Schwierigkeiten, aber am Frühstück konnte ohnehin nicht viel verdorben werden. Ihr Vater überwachte die Pflege der Hydroponikanlage, die sie übernommen hatte. Es war eins gute Ergänzung zu der Vorlesung, die sie an der Luna City High School gehört hatte. Dr. Stone teilte sich mit Hazel in die Überwachung ihres jüngsten Sprößlings und schrieb in ihrer Freizeit gemütlich an einer Veröffentlichung: »über die kumulierende Wirkung von Hypoxie-Randfällen.«
Die Zwillinge entdeckten, daß Mathematik doch interessanter sein konnte, als sie geglaubt hatten – und sehr viel schwieriger. Ihr Vater las die letzten Ausgaben der Reaktor-Welt und studierte das Handbuch des Schiffes, aber er fand noch genug Zeit, um sie auszubilden und gründlich auszufragen. Dabei entdeckte er, daß Pollux sich eine Kurve nicht bildlich vorstellen konnte, wenn er ihre Gleichung sah.
»Das verstehe ich nicht«, sagte er. »Du hattest doch gute Noten in analytischer Geometrie.«
Pollux wurde rot. »Fehlt dir etwas?« erkundigte sich sein Vater.
»Weißt du, Paps, es war so …«
»Weiter.«
»So gute Noten hatte ich gar nicht …«
»Wie? Was soll das? Ihr hattet beide gute Noten. Daran kann ich mich genau erinnern.«
»Ja, schon. Weißt du, wir hatten in diesem Semester schrecklich viel zu tun, und da war es nur logisch …« Er sprach nicht weiter.
»Na, los – nur keine falsche Scham.«
»Cas hat beide Vorlesungen in analytischer Geometrie besucht«, stieß Pollux hervor. »Und ich übernahm die beiden Geschichtsvorlesungen. Aber das Buch habt ich gelesen.«
»Ach, du liebe Güte!« Roger Stone seufzte. »Ich hoffe, der Schwindel ist inzwischen verjährt. Aber du merkst jetzt, daß so etwas immer aufgedeckt wird. Wenn du die Dinge brauchst, die du gelernt haben solltest, stehst du dumm da.«
»Jawohl, Sir.«
»Du übst täglich zusätzlich eine Stunde – bis du dir auf Anhieb eine Hyperfläche in einem Vier-Koordinatensystem des nichteuklidischen Kontinuums vorstellen kannst.«
»Jawohl, Sir.«
»Cas, welche Vorlesung hast du geschwänzt? Und hast du das Buch hinterher durchgearbeitet?«
»Jawohl, Sir. Es war die europäische Geschichte des Mittelalters, Sir.«
»Hm – du bist ebenso schuldig, aber bei Vorlesungen, die nichts mit Rechenschieber und Logarithmentafeln zu tun haben, kenne ich mich nicht so genau aus. Du wirst deinen Bruder unterrichten.«
»Aye, aye, Sir.«
»Falls die Zeit knapp wird, helfe ich euch bei den Fahrrädern, auch wenn ihr es nicht verdient.«
Die Zwillinge legten sich in die Riemen. Nach vierzehn Tagen zeigte sich Roger Stone mit den Leistungen von Pollux zufrieden. Er führte seine Söhne in die tieferen Geheimnisse der Mathematik ein. Als Mars die Größe der Erde übertroffen hatte, waren sie soweit, daß auch ihr Vater passen mußte. Sie lernten alle drei gemeinsam weiter.
*
Die
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