Die Trinity Verschwörung
Und Burgess?«
Die Erwähnung des Namens hatte eine seltsame, beinahe melancholische Wirkung auf Neame; der alte Mann senkte den Blick und verschränkte die Hände langsam im Schoß. In der Ferne lachte ein junges Mädchen.
» Guy ist zweifellos die zentrale Figur der Geschichte«, sagte er leise. » Er hatte auf alle einen ungeheuren Einfluss, nicht nur auf Eddie. Tatsächlich lässt sich Eddie in seinen Memoiren ausführlich über ihn aus. Ich selber hab mich manches Mal zurückerinnert an die Gespräche, die ich mit Guy führen durfte.«
Die Memoiren. Wie konnte Gaddis sie in die Hand bekommen? Es erschien ihm wie eine grausame Fügung des Schicksals, dass Neame auf einem Dokument saß, das nicht nur ATTILAS Existenz bewies, sondern auch noch sein Buch zu einer brisanten, historisch wertvollen Lektüre machen würde. Dieser Neame hatte durchaus etwas von einem Narzissten; es war ihm wichtig, seine eigene Rolle in der Affäre hochzuspielen, gleichzeitig bereitete es ihm Vergnügen, Gaddis mit seinem Wissensvorsprung zu ärgern. Alles schien darauf hinauszulaufen, dass er am Tropf von Neames Wissen hängen blieb, vielleicht wochenlang, ohne selber Einfluss auf die Dosis der Infusion nehmen zu können.
» Sie selbst waren also auch in die politische Szene verwickelt?«, fragte er. » Sie haben ebenfalls Französisch studiert? Persönlich mit Crane zu tun gehabt?«
Neame stoppte die Flut der Fragen mit einem gequälten Seufzer, und Gaddis merkte, dass er zu ungeduldig war. Er musste es der Geschichte erlauben, sich in ihrem eigenen Tempo zu entwickeln. Neame würde ihn weiter manipulieren, ganz sicher, aber wenn Gaddis geduldig war, würde er am Ende mit einem vollständigen Bild von Cranes Zeit in Cambridge belohnt werden.
» Eddie und Guy waren die beiden, denen ich am nächsten stand, zumindest am Trinity«, sagte er. » Im Laufe des Krieges hab ich dann den Kontakt zu Burgess verloren, auch wenn man natürlich von seinen Heldentaten hörte. Das Interessante war, dass er und Eddie in vielerlei Hinsicht polare Gegensätze bildeten. Wo Eddie verschlossen, diszipliniert, ein absoluter Realist war, lief Guy in schmutzigen Klamotten herum, stand ständig unter Alkohol, ernährte sich von seinen Idealen. Aber er war ein begnadeter Redner. Konnte unglaublich gut mit Sprache umgehen.«
» Davon habe ich gehört«, sagte Gaddis. Der wehmütige Unterton in Neames Reminiszenzen ließ ihn auf den Gedanken kommen, dass er und Burgess ein Liebespaar gewesen sein könnten. Und die nächste Bemerkung des alten Mannes war nicht dazu angetan, diesen Verdacht zu zerstreuen.
» Und Guy war natürlich auch ein berüchtigter Aufreißer. Was Kim für die Mädchen war, war Guy für die Jungen. Und nicht nur für die hübschen kleinen Studienanfänger in Cambridge. Er stand auf derbe Kost: Lastwagenfahrer, Arbeiter. Konnte nicht genug davon kriegen.«
» Glauben Sie, dass er etwas mit Eddie hatte?«
Genauso gut hätte er Neame auf den Kopf zu fragen können, ob er selber schwul war.
» Um Himmels willen, wie kommen Sie darauf?«
» War Eddie homosexuell? Er hatte keine Kinder. War nie verheiratet. Ich frage mich, ob er Liebesbeziehungen zu Blunt oder Burgess hatte.« Gerne hätte er hinzugefügt: » Oder zu Ihnen, Tom«, aber dazu fehlte ihm der Mut.
» Woher, zum Teufel, soll ich das wissen?« Neame schien eher verlegen als wütend zu sein, als hätte Gaddis eine Grenze des Anstands überschritten.
» In einer der Biografien über Blunt gibt es eine Theorie, nach der seine sexuelle Orientierung Einfluss auf die Bereitschaft gehabt haben könnte, sein Land zu verraten. Homosexualität war in den dreißiger Jahren in Großbritannien noch illegal. Für den Staat war damit jeder Homosexuelle erklärtermaßen ein Krimineller.«
Neame zog den Stoff seiner Hosen straff und starrte in seinen Schoß. » Das scheint mir ein bisschen weit hergeholt.« Er versuchte, Gaddis mit einer Anekdote abzulenken. » Guy war im dritten Studienjahr, als Eddie und ich auftauchten. Und wir waren beide sofort fasziniert von ihm. Es war Guy, der damals den Kellnerstreik organisiert hat. Haben Sie davon gehört?«
» Nein.« Es war die Unwahrheit, aber Gaddis war neugierig auf Neames Version der Ereignisse.
» Eine ganz einfache Geschichte. Damals wurde vielen der Angestellten, die am Trinity hinter den Kulissen arbeiteten, in den Ferien kein Gehalt ausgezahlt. Guy hielt das nicht ganz zu Unrecht für eine Ungeheuerlichkeit, und mit Eddies Hilfe
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