Die Troja-Mission
Frau mit silbergrauen, zu einem Dutt gerafften Haaren, die wegen der Hitze und der Feuchtigkeit, die im August in Florida herrschten, in grünen Shorts und einem dazu passenden Top an ihrem Schreibtisch saß.
Um ein Haar hätte sie den Computer bis zum nächsten Morgen abgeschaltet. Doch dann fiel ihr auf dem letzten Foto, das der über dem Atlantischen Ozean stationierte Satellit aufgenommen hatte, eine kaum wahrnehmbare Wolkenbildung südwestlich der Kapverden auf, einer Inselgruppe vor der afrikanischen Küste. Sie beugte sich näher an den Bildschirm und sah sich die Sache genauer an.
Für das ungeübte Auge waren am Monitor lediglich ein paar harmlos wirkende Wolken zu sehen, die über der azurblauen See trieben. Heidi aber erkannte etwas weitaus Bedrohlicheres. Sie verglich das Bild mit einer Aufnahme, die der Satellit zwei Stunden zuvor übermittelt hatte. Die Kumuluswolken, Vorboten eines sich anbahnenden tropischen Sturmes, hatten sich schneller zusammengebraut, als sie es in den achtzehn Jahren, in denen sie in Diensten des Hurricane Center der National Underwater & Marine Agency Wirbelstürme über dem Atlantik überwachte und deren Entwicklung vorhersagte, jemals erlebt hatte. Sie vergrößerte die beiden Aufnahmen des noch jungen Sturmtiefs.
Ihr Mann Harley, ein leutselig wirkender Mann mit Walross-Schnurrbart, kahlem Kopf und randloser Brille, kam in ihr Büro und warf ihr einen unwirschen Blick zu. Harley war ebenfalls Meteorologe, arbeitete aber als Analytiker beim National Weather Service, wo er klimatologische Daten für die Wettervorhersagen auswertete, die an private Flugzeuge, Boote und Schiffe übermittelt wurden. »Wo bleibst du denn?«, sagte er und deutete ungeduldig auf seine Uhr. »Ich habe einen Tisch im Crab Pot reserviert.«
Ohne aufzublicken deutete sie auf die beiden nebeneinander stehenden Bilder auf ihrem Monitor. »Die wurden im Abstand von zwei Stunden aufgenommen. Sag mir, was du davon hältst.«
Harley musterte sie eine ganze Weile. Dann runzelte er die Stirn, rückte seine Brille zurecht und beugte sich weiter vor. Schließlich blickte er zu seiner Frau und nickte. »Eine verdammt schnelle Ballung.«
»Viel zu schnell«, sagte Heidi. »Wenn das so weitergeht, braut sich ein gewaltiger Sturm zusammen.«
»Das kann man nie wissen«, erwiderte Harley nachdenklich.
»Manchmal treten sie auf wie ein Löwe und verziehen sich wie ein Lamm. Ist alles schon vorgekommen.«
»Stimmt, aber bei den meisten Stürmen dauert es tage, manchmal wochenlang, bis sie so eine Stärke erreichen. Der hier ist binnen weniger Stunden entstanden.«
»Trotzdem ist es noch zu früh, um vorherzusagen, in welche Richtung er zieht und wo er seinen Höhepunkt erreicht.«
»Ich habe das ungute Gefühl, dass er so unberechenbar bleiben wird.«
Harley lächelte. »Du hältst mich doch sicher auf dem Laufenden?«
»Der National Weather Service wird als Erster Bescheid bekommen«, sagte sie und gab ihm einen leichten Klaps auf den Oberarm.
»Hast du dir schon einen Namen für deinen neuen Freund ausgedacht?«
»Wenn er so schlimm wird, wie ich es für möglich halte, nenne ich ihn Lizzie. Nach Lizzie Borden, der Axtmörderin.«
»Ein bisschen früh im Jahr für einen Namen, der mit L beginnt, aber er klingt ganz angemessen.« Harley reichte seiner Frau die Handtasche. »Mal sehen, wie er sich bis morgen entwickelt. Dann ist immer noch genügend Zeit. Ich habe Hunger. Komm, wir gönnen uns ein paar Krabben.«
Heidi schaltete das Licht aus, schloss die Bürotür ab und folgte ihrem Mann. Aber sie machte sich nach wie vor Sorgen, als sie sich in den Wagen setzte. Und auch beim Essen war sie nicht bei der Sache. Ständig musste sie an den entstehenden Hurrikan denken, denn wenn ihre Befürchtungen zutrafen, konnte er gewaltige Ausmaße annehmen.
Ein tropischer Wirbelsturm, der über dem Atlantischen Ozean aufzieht, wird als Hurrikan bezeichnet. Im Pazifischen Ozean hingegen wird er Taifun genannt und im Indischen Ozean Zyklon. Ein Hurrikan kann schreckliche Naturgewalten entfesseln, die oft mehr Unheil anrichten als ein Vulkanausbruch oder ein Erdbeben und ein weitaus größeres Gebiet verwüsten.
Wie bei der Zeugung neuen Lebens sind auch zur Entstehung eines Hurrikans eine Reihe von Voraussetzungen erforderlich. Zunächst einmal muss sich das Wasser vor der Westküste Afrikas auf über siebenundzwanzig Grad Celsius erwärmen. Danach kommt es infolge der Sonneneinstrahlung zu einer starken
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