Die Troja-Mission
der gut eins dreiundneunzig groß war und rund dreieinhalb Zentner wog. Perlmutter mochte zwar massig sein, aber er war auch kompakt; die Unmengen von Fleisch waren fest und straff.
Er hatte zottige graue Haare, einen Vollbart und einen Schnauzer mit hochgezwirbelten Spitzen. Mit seinem rundlichen roten Gesicht, der Knollennase und den blauen Augen wirkte er fast wie der Weihnachtsmann, wenn er nicht so groß gewesen wäre. Perlmutter trug wie gewohnt einen seidenen Hausmantel mit rotgoldenem Paisley-Muster. Ein kleiner Dackelwelpe sprang um seine Beine herum und kläffte die Besucher an.
»Summer!«, rief er. »Dirk!« Er schloss die beiden in seine mächtigen Arme, drückte sie an sich und hob sie hoch. Summer hatte das Gefühl, als bräche er ihr sämtliche Rippen, und Dirk japste nach Luft. Im nächsten Moment setzte sie Perlmutter, der sich seiner Kraft nicht bewusst war, wieder ab und winkte sie durch die Tür.
»Kommt rein, kommt rein. Ihr wisst ja gar nicht, wie sehr ich mich freue, euch zu sehen.« Dann ermahnte er den Hund. »Fritz! Wenn du nicht aufhörst zu bellen, streiche ich dir dein Gourmet-Hundefutter.«
Summer massierte sich den Brustkorb. »Dad hat dir doch hoffentlich gesagt, weshalb wir hier sind.«
»Ja, ja, hat er«, erwiderte Perlmutter fröhlich. »Was für eine Freude.« Er stockte, und sein Blick verschleierte sich. »Wenn ich mir Dirk anschaue, sehe ich immer euren Vater vor mir, als er in eurem Alter war – vielleicht sogar noch ein bisschen jünger – und hierher kam, um in meiner Bibliothek herumzustöbern. Es kommt mir fast so vor, als ob die Zeit stehen geblieben wäre.«
Dirk und Summer, die Perlmutter schon des Öfteren gemeinsam mit ihrem Vater besucht hatten, staunten immer wieder über dessen riesiges Archiv. Die zahllosen Bücher stapelten sich in den Fluren und sämtlichen Räumen der Remise, sogar im Badezimmer und auf der Toilette. Die Schriften, die hier lagerten, galten als die größte wissenschaftliche Fundgrube zur Geschichte der Seefahrt. Bibliotheken und Archive aus aller Herren Länder standen Schlange und waren bereit, jeden Preis zu bieten, falls Perlmutter seine Sammlung jemals verkaufen sollte.
Summer wunderte sich stets aufs Neue über Perlmutters unglaubliches Gedächtnis. Angesichts der Unmassen von Material sollte man meinen, dass er alles geordnet und per Computer erfasst hatte, aber er behauptete immer, er könne nicht abstrakt denken, und hatte sich bislang keinen PC zugelegt. Trotzdem kannte er jedes Manuskript, jedes einzelne Buch und jeden Bericht samt dem Namen des Autors, und wusste genau, wo alles lagerte. Er brüstete sich gern damit, dass er innerhalb von sechzig Sekunden alles finden könnte, was er suchte.
Perlmutter geleitete sie in seinen herrlichen, mit Sandelholz getäfelten Speiseraum, das einzige Zimmer im Haus, in dem keine Bücher herumlagen. »Setzt euch, setzt euch«, rief er mit dröhnender Stimme und deutete auf einen dicken runden Esstisch, der aus dem Ruderblatt des berühmten Geisterschiffes
Mary Celeste
gezimmert war, dessen Überreste er in Haiti gefunden hatte. »Ich habe einen leichten Lunch zubereitet, Shrimps mit sautierten Guaven, eine meiner Spezialitäten. Dazu trinken wir einen Martin Ray Chardonnay.«
Fritz setzte sich neben den Tisch und fegte mit seinem Schwanz den Boden. Perlmutter reichte ihm ab und zu einen Garnelenhappen, den er kurzerhand schluckte, ohne zu kauen.
Schon nach kurzer Zeit tätschelte sich Dirk den Bauch. »Die Shrimps waren so köstlich, dass ich mich völlig überfressen habe, fürchte ich.«
»Da bist du nicht der Einzige«, versetzte Summer mit einem leisen Stöhnen.
»Nun denn, was kann ich für euch tun?«, sagte Perlmutter. »Euer Papa hat irgendwas von keltischen Artefakten gesagt, die ihr gefunden habt.«
Summer öffnete den Aktenkoffer, den sie mitgebracht hatte, und holte die Berichte, die sie und Dirk auf dem Flug nach Washington geschrieben hatten, sowie die Fotos von den Relikten aus alter Zeit heraus. »Hier ist so ziemlich alles aufgeführt, was wir gefunden haben. Außerdem habe ich Hiram Yeagers Schlussfolgerungen zu der Amphore, dem Kamm und den Fotos von den Artefakten und Kammern beigelegt.«
Perlmutter goss sich ein weiteres Glas Wein ein, setzte seine Brille auf und begann zu lesen. »Bedient euch. Ich habe noch jede Menge Shrimps.«
»Ich glaube, keiner von uns schafft auch nur noch einen Bissen«, murmelte Dirk und hielt sich den Bauch.
Perlmutter las wortlos
Weitere Kostenlose Bücher