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Die Trolle

Die Trolle

Titel: Die Trolle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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Gesicht. Irgendwann während ihrer Arbeit ging die Sonne auf, doch Sten beachtete das Naturschauspiel nicht, sondern grub grimmig weiter, während sein geschundener, erschöpfter Körper immer heftiger protestierte. Schließlich stand er in einem hüfttiefen Loch und wischte sich den Schweiß mit schmutzigen Fingern von der Stirn. Als er aufsah, stellte er fest, dass sowohl Viçinia als auch Costin sich zu ihnen gesellt hatten.
    Mit schmerzenden Händen packte Sten Natiole an den Schultern und ließ ihn vorsichtig in sein Grab rutschen, darauf bedacht, seinem toten Freund die Würde und Ehre zu erweisen, die er verdient hatte. Als Natioles Körper am Boden der Grube lag, kniete sich Sten nieder, faltete dessen Arme über der Brust und schloss ihm die Augen.
    »Sichere Wege, Nati. Mögen die Geister über deine Reise wachen«, flüsterte Sten mit erstickter Stimme, bevor er sich völlig erschöpft anschickte, aus dem Grab zu klettern. Dabei glitt er an den nassen, erdigen Wänden ab, bis Flores und Costin ihn entschlossen an den Armen packten und ihn hochzogen.
    Als Sten über dem Grab stand und die Leiche seines Freundes ansah, fühlte er sich plötzlich sehr alt und unendlich müde. Wie soll ich ohne dich weitermachen?, dachte er verzweifelt. Aber dann ergriff er den Spaten und stach ihn in den Erdhaufen. Mit einem letzten Blick warf er die feuchte Erde in das Grab, die dumpf klatschend auf den Leib seines Freundes fiel. Eine weitere Schaufel voll Erde folgte und noch eine, bis nur mehr Natioles bleiches, friedliches Gesicht aus dem Grab schaute und dann nicht einmal mehr das. Inzwischen hatte Sten einen Zustand jenseits aller Erschöpfung erreicht. Er arbeitete weiter und weiter, als wäre sein Körper nicht durch seine Verwundungen geschwächt und durch Schlafmangel ausgelaugt. Einmal wollte ihm Costin den Spaten aus den Händen nehmen, doch Sten schüttelte nur den Kopf und schaufelte weiter, bis das Grab vollständig zugeschüttet war. Dem Zusammenbruch nahe, lehnte sich der junge Wlachake auf den Spaten und sah auf, als Viçinia sagte: »Er war ein guter Mann und ein wahrer Freund. Er wird von vielen vermisst werden.«
    Mehr war nicht nötig, um den Schmerz auszudrücken, den sie alle empfanden. Wie immer hatte Viçinia genau die richtigen Worte gefunden, und im Stillen wiederholte Sten: Du wirst vermisst werden, Nati.
    Dann schulterte er den Spaten und ging langsam zurück zu der Hütte. Viçinia und Costin folgten ihm, nur Flores blieb noch eine Weile stehen und starrte auf den frischen Erdhügel.
    Im Innern der Hütte brannte das Feuer hoch im Kamin. Vor der Feuerstelle lag Leica, die offenbar völlig erschöpft in Schlaf gefallen war, neben dem bewusstlosen Suhai. Sargan lehnte gegen eine Wand, den Arm über die Augen gelegt.
    Die Wärme in der Kate traf Sten wie ein Schlag. Plötzlich war er nicht länger in der Lage, stehen zu bleiben. Seine Beine gaben unter ihm nach, und er sank zu Boden, wo er schwer atmend liegen blieb. Viçinia und Costin eilten sofort an seine Seite. Ihre besorgten Stimmen drangen wie aus weiter Ferne zu ihm. Ohne etwas zu verstehen, starrte der junge Krieger auf sein Bein, wo die Wunde infolge der anstrengenden Arbeit wieder zu bluten begonnen hatte. Plötzlich kniete der alte Mann neben ihm und legte ihm die Hand auf die Brust.
    »Du hast deine Pflicht deinem Freund gegenüber erfüllt. Nun erfülle sie dir gegenüber.«
    Mit vereinten Kräften brachten sie Sten in eine halbwegs bequeme Position in der Nähe des Kamins. Viçinia schob ihm etwas Weiches unter den Kopf.
    »Lass mich mal sehen …« Die Finger des Weißhaarigen, die vorher zittrig und schwach erschienen waren, drückten Sten mit unausweichlicher Kraft zu Boden und glitten dann sanft über seine Verletzungen. Ohne zu protestieren, ließ der junge Wlachake die Behandlung über sich ergehen. Der Boden schien unter seinem Leib zu schwanken, und die ganze Welt tanzte vor seinen Augen. Immer kleiner wurde sein Blickfeld, immer größer die Dunkelheit, bis er endgültig in die Schwärze versank. Das Letzte, was er hörte, waren die Worte des alten Mannes.
    »Er hat viel Blut verloren. Die Wunde werden wir nähen müssen. Gib mir bitte den Tiegel dort, meine Liebe.«

 
43
    Müde lehnte sich Flores an die Wand und schaute auf ihren Bruder hinab, der in einen tiefen Schlaf gefallen war und nun ruhig und gleichmäßig atmete. Der alte Mann hatte Stens Wunden mit kundiger Hand versorgt und bereitete nun einen Eintopf für

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